Die Perspektive der „Kinder-AkteurInnen“ – Wie zeigt sich Peerverhalten während des Unterrichts? (Anonym)

Diese Arbeit ist aus Gründen des Datenschutzes anonym veröffentlicht.

Inhalt

  • Einleitung
  • Methodische Vorgehensweise
    • Ethnographische Forschungsmethode
    • Die Rolle als Forscher im Feld
    • Reaktionen des Feldes
  • Beschreibung der Lernkultur
  • Die Beobachtungen
    • Situation 1
    • Dichte Beschreibung
    • Analytische Dimensionierung
    • Situation 2
    • Dichte Beschreibung
    • Analytische Dimensionierung
  • Fazit
  • Literatur

Einleitung

In der Schule werden Kinder und Jugendliche im gleichen Alter über einen langen Zeitraum zu Gruppen formiert. Durch den täglichen Kontakt entstehen und entwickeln sich Peerkulturen, deren Praktiken Schule und Unterricht bedingen (vgl. Otto 2015, S. 27). Zschach, Zitzke und Schirner (vgl. 2010, S. 105) stellen heraus, dass Schule grundsätzlich positiv bewertet wird als Raum für Peerkontakte. Am Lernort Schule entstehen Freundschaften und Interaktionen mit Gleichaltrigen, weshalb diesem Ort eine hohe Bedeutung in diesem Kontext beigemessen wird. Die Zugehörigkeit zu funktionierenden Gleichaltrigengruppen und einer Klassengemeinschaft gilt als die wichtigste Schulerfahrung der jungen Lerner1. Dabei kann die innerschulische Interaktion der Peers mit der schulischen Ordnung in ein Spannungsverhältnis geraten. Häufig entwickeln die Gleichaltrigen mit der Schule divergierende soziale Normen und Verhaltenserwartungen (vgl. ebd., S. 106). Schüler bewegen sich deshalb ständig in einem Balanceakt zwischen der Doppelrolle des Schülers und des Peers (vgl. Otto 2015, S. 27).

Peerverhalten wirkt sich im zunehmenden Alter immer mehr auf das Unterrichtsgeschehen aus. Auch Grundschüler legen bereits viel Wert auf die Meinung ihrer Peergroup und passen ihr Verhalten häufig an die Erwartungen ihrer Freunde an. Deshalb macht sich Peerverhalten nicht nur in Pausenzeiten bemerkbar, sondern findet die Kommunikation mit den Peers und die Anpassung an die Verhaltenserwartungen der Gleichaltrigen auch innerhalb des Unterrichts statt (vgl. Zschach et al. 2010, S. 106ff.).

Wagner-Willi (vgl. 2018, S. 58) beschreibt den Lernort Schule als eine öffentliche Bühne, auf der Praktiken teilweise auf Vorder- oder Hinterbühnen stattfinden. So ordnet sie beispielsweise das Schulzimmer zu Unterrichtszeiten eher der Vorderbühne zu, wobei auch diese zur Hinterbühne werden kann, wenn Schülerhandlungen unbemerkt bleiben oder die Lehrkraft den Raum verlässt. Toilettengänge oder Aktivitäten in Pausen hingegen finden überwiegend auf der Hinterbühne statt und bleiben ungesehen. Dort können sich „Subkulturen entfalten […] oder auch Unterrichtssituationen vorbereitet und verarbeitet werden […]“ (ebd., S. 58). Wagner-Willi führt weiterhin auf, dass etablierte Unterrichtssituationen durch peerkulturelle Rahmungen, welche auf der Vor- oder der Hinterbühne stattfinden können, zu Umgestaltungen führen können (vgl. ebd., S. 61).

Die im Rahmen meines Studienprojektes verfasste Seminararbeit setzt sich aus den oben aufgeführten Gründen mit Peerverhalten während der Unterrichtszeiten auseinander und legt den Schwerpunkt auf die Fragestellung, inwiefern sich Peerverhalten während des Unterrichts zeigt. Zunächst wird die methodische Vorgehensweise erläutert, wobei sowohl die ethnographische Forschungsmethode als auch die Rolle des Forschers im Feld vorgestellt wird. Außerdem wird auf die Reaktion der kindlichen Akteure eingegangen. Im Anschluss daran folgt die Vorstellung der Lernkultur der beobachteten Klasse. Danach werden zwei dichte Beschreibungen aufgeführt, welche analytisch dimensioniert werden. Am Ende wird ein Fazit gezogen, welches einen kurzen Ausblick inkludiert.

2 Methodische Vorgehensweise

2.1 Ethnographische Forschungsmethode

Der Unterrichtsalltag lässt sich durch die Ethnographie, welche eine sozial- wissenschaftliche Forschungsstrategie darstellt, untersuchen. Ethnographische Forschung findet sowohl in der Erziehungswissenschaft als auch in der Unterrichtsforschung zunehmend Anwendung (vgl. Breidenstein 2012, S. 27f.). Ihren Ursprung hat die Ethnographie in der wissenschaftlichen Disziplin der Ethnologie, welche ihren Interessensschwerpunkt auf fremde Länder und Kulturen legt. Ziele der Ethnologie liegen darin, dass der Forscher das für ihn fremde Land bereist, sich in die Kultur einlebt und versucht, diese vorerst fremde Lebensweise zu verstehen (vgl. ebd., S. 27ff.). Die Sicht und Perspektive der Einheimischen sollte dabei vordergründig erfasst und rekonstruiert werden. Dabei sollte der Forscher keine eigenen Werturteile und Erklärungen an das einheimische Volk herantragen, sondern gilt dabei die Distanzgewinnung zu den etablierten Gewissheiten der eigenen Kultur (vgl. ebd., S. 29).

Der schulische Kontext scheint auf den ersten Blick zunächst ungeeignet für die oben beschriebene ethnographische Forschungsmethode, da das Umfeld Schule für den Forscher weniger eine fremde Welt, sondern vielmehr ein vertrautes Erfahrungsfeld ist (vgl. ebd., S. 29f.). Amann und Hirschauer entwickelten jedoch das methodologische Programm „Befremdung der eigenen Kultur“. Dabei geht es nicht darum, sich dem Fremden zu widmen, sondern „[…] ein neues, befremdetes Verhältnis zu dem (scheinbar) Bekannten und (allzu) Selbstverständlichen einzunehmen […]“ (ebd., S. 30). Demnach sollte der Forscher einen neuen Blick auf Gewohnheiten des eigenen Alltags erlangen.

Ethnographische Forschung zielt also darauf ab, alltägliche, selbstverständlich erscheinende Situationen aus einem fremden Blickwinkel zu betrachten. Dafür ist eine forschend-distanzierte Grundhaltung seitens des Forschers erforderlich (vgl. Lindner und Rosenberger 2019, S. 63). Methodisch wird sich dabei vor allem der teilnehmenden Beobachtung bedient (vgl. Breidenstein 2012, S. 27). Der Ethnograph beobachtet das Unterrichtsgeschehen möglichst objektiv, mit dem Interesse an einer präzisen und verallgemeinerungsfähigen Beschreibung (vgl. ebd. S. 31). Während der Beobachtung werden möglichst viele Notizen angefertigt, welche unmittelbar im Anschluss zu dichten Beschreibungen ausgearbeitet werden. Die Beobachtungen werden demnach in Sprache überführt, damit auch Außenstehenden die Situation nachvollziehbar erscheinen kann. Gleichzeitig ermöglicht die Verschriftlichung Distanzierung und Befremdung, indem das Geschehene in Zeitlupe genauer betrachtet wird (vgl. ebd., S. 32). Dabei sollte dem Forscher bewusst sein, dass die Verschriftlichung von Beobachtungen eine sprachliche Erschließung darstellt und somit bereits Deutungen und möglicherweise subjektive Verzerrungen enthält (vgl. Lindner und Rosenberger 2019, S. 63f.).

Das schulische Umfeld wird also insgesamt zu einem Entdeckungsfeld, wobei die Mikrostrukturen des sozialen Geschehens vordergründig sein sollen. Ethnographische Forschung ist um das wissenschaftlich begründete Verstehen-Lernen des gemeinsam hervorgebrachten Alltags mit all seinen Routinen und Ordnungen bemüht (vgl. Wiesemann 2011, S. 167f.). Diese Regeln und Strukturen des alltäglichen Handelns sind den Akteuren häufig nicht bewusst, auch wenn sie das Miteinander im Schulalltag unterbewusst organisieren. Der Forscher beabsichtigt, die Akteure dabei zu beobachten, wie sie ihre Handlungen aufeinander beziehen und gemeinsam den schulischen Alltag bewältigen (vgl. ebd., S. 169). Eine intensive Beobachtung lässt sich nur dann tätigen, wenn die Langfristigkeit der Teilnahme seitens des Forschers gegeben ist. Die Beobachterrolle setzt Vertrauen seitens der Lehrkraft und der Schüler voraus, damit Unterrichtssituationen möglichst unauffällig und unaufdringlich beobachtet werden können. Da viele Merkmale und Details erst nach einigen Anläufen entdeckt werden und sich auch das Vertrauen der T eilnehmer immer weiter ausbaut, sollte der Forscher ausreichend Zeit für seine ethnographische Erhebung einplanen (vgl. Breidenstein 2012, S. 31f.).

Die Rolle als Forscher im Feld

Der Forscher muss eine forschend-distanzierte Haltung einnehmen, da die verschiedenen Sinnebenen schulischer Phänomene nur dann sichtbar werden können. Spezifisches Alltagswissen oder Vorwissen über einzelne Schüler sollte bei der Beobachtung daher unbedingt ausgeblendet werden (vgl. Lindner und Rosenberger 2019, S. 64). Der Forscher muss um einen Rückzug aus dem Geschehen bemüht sein, welcher der eigentlichen Rolle als Praktikant gegenübersteht. Normalerweise signalisieren Praktikanten gegenüber Schülern und Lehrern stets ihre Hilfsbereitschaft und Eigeninitiative. Als ethnographischer Forscher jedoch sollte man während der Beobachtungen darum bemüht sein, nicht in die Handlungen einbezogen zu werden und möglichst einen objektiven, unvoreingenommenen Blick auf das Gesamtgeschehen zu haben (vgl. ebd., S. 64f.). Gleichzeitig kann sich das durch den Praktikantenstatus bereits bestehende Vertrauensverhältnis jedoch auch positiv auf die Forschung auswirken. Als fester Bestandteil des Schulalltags der Kinder wird meine Anwesenheit von den Schülern nicht hinterfragt und akzeptiert, sodass ich mich direkt im Forschungsfeld befinde. Die Schüler erhielten genügend Zeit, mich als Praktikantin kennenzulernen, weshalb sie Hemmungen und mögliche Ängste bereits ablegen konnten.

Reaktionen des Feldes

Zu Beginn gestaltete es sich schwierig, Freiräume zu schaffen, in denen man nicht in das Unterrichtsgeschehen integriert wurde. Mir war bewusst, dass die Qualität der teilnehmenden Beobachtung nachlässt, wenn ich zeitgleich Aufgaben von Kindern kontrolliere oder Hilfestellungen anbiete. Auch wenn ich der Lehrkraft vorher mitteilte, dass ich mich für Beobachtungen aus dem Geschehen zurückziehen werde, gab es immer wieder Schüler, die meine Hilfe einforderten oder die kurzzeitig ihren Platz verließen, um mich gezielt anzusprechen. Es herrschte Unverständnis darüber, warum ich nicht wie gewohnt als Ansprechpartner und Unterstützer zur Seite stehe. Mein Rückzug wurde weiterhin dadurch erschwert, dass mein Beobachterplatz der gleiche Sitzplatz vorne im Klassenraum war, den ich auch in meiner Praktikantenrolle einnahm. Von dort konnten mich die Schüler sehen und teilweise einsehen, wenn ich Notizen anfertigte. Dennoch war ich stets bemüht darum, Notizen unbemerkt zu machen. Durch die anfänglichen Schwierigkeiten waren meine ersten Beobachtungen unbrauchbar. Ich wurde häufig abgelenkt und konnte mich nicht auf das Beobachten und Beschreiben fokussieren.

Ich entschied mich schließlich dafür, immer wieder kleinere Sequenzen von Unterrichtsgesprächen gezielt zu beobachten, da die Schüler mich in diesen Momenten am wenigstens wahrnahmen. Während die Lehrkraft Erklärungen anführte nahm ich generell meinen Sitzplatz vorne ein, sodass dies nicht ungewöhnlich für die Klasse war. Die meisten Kinder fokussierten die Lehrkraft und die Beiträge der Mitschüler und bemerkten die Anfertigung meiner Notizen deshalb nicht.

Beschreibung der Lernkultur

Die ethnographische Forschung wurde im Rahmen des Praxissemesters an einer kleinen Verbundgrundschule durchgeführt. Der Teilstandort beinhaltet lediglich vier Klassen (einzügig), die von etwa sechs Lehrkräften unterrichtet werden. Das Schulgebäude ist auf acht Klassen ausgelegt, sodass momentan jede Klasse einen eigenen Nebenraum hat, in dem bei Bedarf kleinere Schülergruppen arbeiten können. Eine Besonderheit der Schule ist es, dass die Klassen 1 und 2 jahrgangsübergreifend unterrichtet werden, sodass es zwei Klassen mit Erst- und Zweitklässlern gibt. In diesen Klassen wird das Voneinander Lernen durch ein Helfersystem besonders gefördert. Kinder, die Unterstützung benötigen oder eine Frage zu einer Aufgabe haben sollen zunächst ihren Sitznachbarn oder ein besonders schnelles Kind um Rat fragen, bevor sie die Hilfe der Lehrkraft einfordern. In der dritten Klasse vereinen sich schließlich die ehemaligen Zweitklässler, sodass eine neue Klassenkonstellation entsteht. Die Kinder werden jedoch auch in der zweiten Klasse bereits aneinander gewöhnt, indem der Englisch- und der Musikunterricht mit allen Zweitklässlern (getrennt von den Erstklässlern) gemeinsam stattfindet. Mein Praktikum absolvierte ich zum Großteil in einer dritten Klasse, welche aus 23 Schülern bestand. Seit Beginn der Coronapandemie wird in dieser Klasse überwiegend Wochenplanarbeit durchgeführt. Die Kinder erhalten montags ihren Arbeitsplan für die gesamte Schulwoche. Dort wird kenntlich gemacht, welche Aufgaben an welchem Tag erledigt werden sollten. Aufgaben, die am Schultag nicht erledigt wurden, müssen im Nachmittagsbereich als Hausaufgabe gemacht werden. Manche Kinder erhalten Zusatzaufgaben, die auf Freiwilligkeit beruhen und über das normale Pensum hinausgehen. Außerdem gibt es hinten im Klassenraum Ablagefächer, in denen zusätzliche Aufgaben für Mathe und Deutsch, unterteilt in leichtere (Symbol einer Feder) und schwierigere Aufgaben (Symbol eines Gewichts), ausliegen. Der Beginn einer Unterrichtsstunde erfolgt meist gemeinsam im Plenum. Es werden für die Aufgaben relevante Grundlagen eingeführt oder wiederholt. Nur selten werden Inhalte am Ende der Stunde reflektiert. Die Stunde wird von der Lehrkraft durch ein Klangsignal beendet, welches den Kindern verdeutlicht, dass die Aufgaben weggepackt werden sollen und eine neue Unterrichtsstunde beginnt. Es bedarf dabei nur selten einer zusätzlichen Aufforderung.

Der Beginn meines Praxissemesters war von Wechselunterricht geprägt, sodass immer nur die halbe Klassenstärke anwesend war und jeder Tisch nur von einem Kind besetzt wurde. Viele Kinder konnten sich deshalb monatelang nicht sehen im schulischen Kontext. Die letzten zwei Wochen vor meinen getätigten Beobachtungen fand schließlich wieder Präsenzunterricht für alle Schüler statt. Generell herrscht eine rege Beteiligung am Unterrichtsgeschehen. Es gibt nur wenige Kinder, die sich bei Gesprächen gerne zurückziehen. Alle Kinder können sich der deutschen Sprache sowohl mündlich als auch im Schriftbild ausreichend bedienen. Nur wenige Kinder weisen einen Förderbedarf auf.

Coronabedingt finden keine Gespräche im Sitzkreis statt, sondern erfolgt der Unterricht lediglich frontal und überwiegend in Einzelarbeit. Es werden jedoch immer wieder Partnerarbeitsaufträge erteilt, damit die Kinder auch ohne Anleitung in den Austausch geraten. Die Tische sind alle frontal zu der Lehrkraft ausgerichtet. Es ergeben sich insgesamt vier Tischreihen, wobei immer drei Tische hintereinander angeordnet sind.

Die Beobachtungen

Bei den Beobachtungen handelt es sich aufgrund der begrenzten Wörteranzahl nur um Ausschnitte aus dem Gesamtgeschehen. Die Namen der Kinder wurden anonymisiert.

Situation 1

Ich befinde mich vorne im Klassenraum der dritten Klasse (alle 23 Kinder anwesend) an einem Einzeltisch, der unmittelbar neben dem Lehrerpult steht. Ich habe meinen Notizblock sowie mein Mäppchen mit Stiften vor mir auf dem Tisch liegen. Den Kindern habe ich zu Tagesbeginn mitgeteilt, dass ich an diesem Tag Korrekturen für die Lehrkraft vornehme und mich weitestgehend aus dem Unterrichtsgeschehen zurückziehe. Daher wurde mir auch in der ersten Unterrichtsstunde wenig Aufmerksamkeit geschenkt und ich konnte bereits unauffällig Beobachtungen vornehmen und Notizen dazu anfertigen.

Die Kinder sitzen alle an ihren Zweiertischen, die frontal nach vorne gerichtet sind. Lediglich ein Kind sitzt vorne an einem Einzeltisch. In der ersten Unterrichtsstunde handelte es sich um eine Mathematikstunde, welcher der Morgenkreis vorangestellt wurde. Um 08:30 Uhr beginnt die Deutschstunde. Die Schüler werden pünktlich um diese Uhrzeit durch ein Klangsignal dazu aufgefordert, ihre Mathematiksachen von den Tischen zu räumen und die Deutschunterlagen bereit zu legen. Dieser Vorgang läuft ritualisiert ab und bedarf keiner weiteren Aufforderung. Die Lehrkraft wartet ab, bis dies von allen Schülern erledigt ist und die Klasse die Aufmerksamkeit nach vorne richtet. Dieser Vorgang dauert etwa drei Minuten. Danach kehrt Ruhe ein und der Beobachtungszeitraum beginnt. Er erstreckt sich von 08:33 bis 08:40 Uhr.

Dichte Beschreibung

Aus den folgenden dichten Beschreibungen werden nur die Analysepunkte hervorgehoben, die mir für die Beantwortung meiner Forschungsfrage bedeutsam erscheinen.

Die Lehrkraft klappt die zuvor vorbereitete Tafel auf. Sie stellt sich mit verschränkten Armen seitlich neben die Tafel und fragt, wer den Satz an der Tafel vorlesen kann. Nina, Mona, Maja, Ina, Julia und Lina strecken ihren Arm in die Höhe. Ina dreht sich dabei um und schaut zunächst in Richtung von Nina, dann wendet sie ihren Blick Mona zu. Luca wackelt mit seinen Beinen und richtet seinen Blick auf den Tisch vor ihm. Benedikt spielt mit zwei Stiften. Als er die Lehrkraft ansieht, legt er die Stifte in seine Mappe. Lisa dreht mit ihrem rechten Zeigefinger eine Haarsträhne. Sina schreibt einen Satz auf einen kleinen Zettel. Als Adrian den Satz auf Sinas Zettel zu lesen versucht, hält diese die Hand davor.

Die Lehrkraft schaut durch die Klasse und wählt Lina aus, die den Satz an der Tafel mit lauter und deutlicher Stimme vorliest. Die Lehrkraft fragt daraufhin, wie viele Satzglieder der Satz an der Tafel beinhaltet. Es entsteht eine kurze Pause von ca. 30 Sekunden. Manche Kinder schauen sich zu ihren Mitschülern um. Olaf meldet sich schließlich und sagt mit leiser Stimme: „Drei?“ Er legt den Kopf dabei schief. Die Lehrkraft nickt und erfragt die einzelnen Satzglieder: „Mit welcher Frage fragt man nach dem Subjekt in diesem Satz?“ Nina meldet sich nach ca. zwei Sekunden und sagt in einer ruhigen und sicheren Stimmlage die passende Subjektfrage. Nina schaut kurz in Monas Richtung, welche ihr einen hochzeigenden Daumen entgegenstreckt. Die Lehrkraft wendet sich der Tafel zu, an der sie die passende Frage verschriftlicht. Während sie sich von der Klasse abwendet, schreibt Sina erneut ein paar Wörter auf ihren kleinen Zettel. Adrian lehnt sich zurück und blickt dabei auf den kleinen Zettel. Sina zieht ihre Stirn kraus, setzt einen auf mich ernst wirkenden Blick auf, mit welchem sie Adrian fixiert und sagt leise: „Adrian, das geht dich nichts an.“ Anschließend knüllt sie den Zettel zusammen und legt ihn mit ihrer Hand unter ihrem Tisch auf dem Schoß ab.

Luca dreht sich kurz zu Sina um, richtet seinen Blick aber dann wieder nach vorne als die Lehrkraft zu der Klasse gewandt wissen möchte, wie man das nächste Satzglied erfragt. Maja meldet sich etwas zögerlich. Sie sagt, dass sie sich nicht sicher sei und äußert ihre Vermutung. Als die Lehrkraft mit einem Lächeln ruft: „Genau richtig!“, nimmt Maja eine entspannte Sitzhaltung ein. Sie lehnt sich auf ihrem Stuhl zurück. Die Lehrkraft schreibt auch diese Frage mit farblichen Markierungen und Einkreisungen an die Tafel. Sina ruft leise: „Jasmin!“ Diese lässt die Schultern hängen und fragt auf mich genervt wirkend: „Was ist?“ Sina schaut sich kurz nach links und rechts um, dann übergibt sie ihr den kleinen Zettel mit dem Zusatz, dass der Zettel für Nina sei. Jasmin versteckt den Zettel schnell in ihrer Mappe als die Lehrkraft noch eine kurze Rückfrage stellt. Sie wackelt dabei mit den Beinen. Olaf tippt Jasmin auf den Rücken und flüstert kaum hörbar: „Jetzt, schnell.“ Jasmin blickt zu der Lehrkraft, welche noch den Satz zu Ende schreibt. Danach überreicht sie den Zettel Olaf. Sina, die das mit ihren Blicken mitverfolgt, flüstert: „Der ist nicht für dich.“ Olaf lässt dies unkommentiert und reicht den Zettel zu Mona. Diese schenkt dem Zettel zunächst keine Beachtung und streckt ihren Arm in die Höhe. Die Lehrkraft dreht sich um und sagt mit lauter Stimme: „Das ist mir zu laut hier. Sobald ich mich der Tafel zuwende, höre ich nur Gemurmel!“ Als die Lehrkraft Monas Meldung sieht fragt sie: „Hast du eine Frage oder möchtest du das letzte Satzglied bestimmen?“ Mona stellt ihre Frage, welche die Lehrkraft an die Klasse weitergibt. Sie fordert Mona dazu auf, selbst ein Kind dranzunehmen, welches die Frage beantworten darf. Ina, Julia und Anton melden sich. Mona schaut kurz zu allen drei Kindern, entscheidet sich dann für Julia.

Sina schaut sich währenddessen mit den Beinen wippend zu mehreren Kindern um. Jasmin wendet sich ihr zu und zuckt mit den Schultern. Die Lehrkraft spricht Sina an: „Sina, ist irgendwas?“ Diese zuckt zusammen und winkt kurz angebunden ab. Sie setzt sich auf ihre Hände und lehnt sich gegen die Stuhllehne. Das Unterrichtsgeschehen wird weiter fortgeführt. Es werden noch ein paar farbliche Einkreisungen von der Lehrkraft an der Tafel vorgenommen. Olaf stößt Mona mit dem Ellenbogen in die Seite. Diese wendet sich ihm zu, verdreht die Augen und legt den kleinen Zettel auf den Tisch von Nina und Lennox. Lennox guckt auf mich ratlos wirkend auf den Zettel, auf dem der Name von Nina steht. Er zeigt mit einem Finger auf den Zettel und guckt dabei in Ninas Richtung. Diese greift nach dem Zettel und guckt sich gleichzeitig in der Klasse um. Als die Lehrkraft sieht, dass Nina etwas in der Hand hält, sagt sie: „Egal was das ist, pack es bitte weg.“ Nina folgt der Anweisung, legt den Zettel in ihre Mappe und macht den Reißverschluss zu. Der Blickkontakt zwischen den Akteuren bricht ab. Sina nimmt eine aufrechte Körperhaltung ein, legt ihre Hände auf dem Tisch ab und richtet ihren Blick auf die Lehrkraft.

Analytische Dimensionierung

Es ist möglich, dass sich Ina während des Meldens zu Nina und Marie umdreht, um zu schauen, ob diese ebenfalls für die Beantwortung der Frage aufzeigen. Die drei Mädchen verbindet eine enge Freundschaft. Während meiner ethnographischen Forschung ist mir immer wieder aufgefallen, dass die Beteiligung am Unterrichtsgeschehen für diese Peergroup eine große Bedeutung hat. Auch Noten und Rückmeldungen durch die Lehrkraft spielen häufig eine Rolle. In den Momenten des Blickkontaktes verständigen sich die drei Mädchen auf Peerebene. Durch das Aufzeigen sichern sie sich womöglich ihren Status innerhalb der Gruppe (vgl. Zschach et al. 2010, S. 108). Die passende Antwort, die Nina auf die Frage der Lehrkraft anbringt, wird von Mona durch einen hochzeigenden Daumen wertgeschätzt. Nina nimmt nach ihrer Antwort direkt den Blickkontakt zu Mona auf, was darauf hindeuten könnte, dass ihr die Anerkennung durch ihre Peers wichtig ist. Als Mona schließlich eine Rückfrage zu unterrichtlichen Themen hat, darf sie selbst einen Schüler für die Beantwortung auswählen. Sie entscheidet sich für ein Kind außerhalb ihrer Peergroup. Eine mögliche Begründung dafür wäre, dass sie ihren eigenen Status innerhalb der Gruppe nicht herabsetzen möchte.

Ein weiteres Kommunikationsmedium auf Peerebene ist das Schreiben von kleinen Briefchen, welches für Schüler häufig eine große Bedeutung hat. Sie treten damit während des Unterrichts in Kontakt zu ihren Peers, wodurch eine Praxis zwischen Peer- und Schülerkultur entsteht (vgl. Bennewitz 2009, S. 119). Die schriftliche Kommunikation bietet den Schülern den Vorteil, dass auch Kinder, die weit entfernt voneinander sitzen, miteinander kommunizieren können (vgl. ebd., S. 122). Außerdem hat das Schreiben am Lernort Schule einen hohen Stellenwert, da diese zentrale Kulturtechnik dort erlernt wird (vgl. ebd., S. 121). Unterrichtliche Anforderungen, wie die Beteiligung an Gesprächen oder das aufmerksame Zuhören, werden für die involvierten Schüler häufig zu einer Nebensache (vgl. ebd., S. 123). Das Geschehen bleibt zunächst unbemerkt und findet auf der Hinterbühne statt. Inoffizielle Peeraktivitäten bilden eine Antistruktur zu der Vorderbühne Unterricht, da die Erwartungen an die Schülerrolle im Kontrast du denen der Peergroup stehen (vgl. Wagner-Willi 2018, S. 61f.). Es besteht außerdem durchgehend die Gefahr entdeckt zu werden, was das Zetteln jedoch für viele Schüler noch interessanter und aufregender macht (vgl. Bennewitz 2009, S. 123). Sina nutzt die bei den Kindern weit verbreitete unterrichtliche Praktik des Briefchenschreibens. In der Beobachtung stellt sich heraus, dass der Zettel an ihre Freundin Nina adressiert ist. Das Zettelschreiben über die räumliche Distanz kann auch als Beziehungszeichen gesehen werden, welches vor der Klasse öffentlich gezeigt wird (vgl. ebd., S. 124f.). Das Zetteln stellt eine intime Kommunikation zwischen den Schreibenden dar, es schließt Dritte bewusst aus und hierarchisiert das Beziehungsgepflecht (vgl. ebd., S. 126).

Sina verhindert mit ihrer Hand, dass Adrian den von ihr verfassten Zettel lesen kann. Eine mögliche Begründung dafür wäre, dass es sich um ein privates Anliegen handelt, welches Sina nicht mit Adrian teilen möchte. Es könnte allerdings auch sein, dass Sina dadurch lediglich noch mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen möchte oder sie einfach einen geheimnisvollen Akt vollziehen möchte. Adrian richtet seinen Blick weiterhin auf den Zettel. Es könnte sein, dass dies bei ihm zu einer Ablenkung von dem Unterrichtsgeschehen führt, wodurch seine Schülerrolle in den Hintergrund geraten würde. Auch wenn das Zetteln bereits bekannt ist in der beobachteten Klasse, liegt in dieser Praktik immer wieder etwas Geheimnisvolles, das für das Publikum attraktiv ist. Es weckt den Anreiz erkennen zu wollen, was dort niedergeschrieben wurde (vgl. ebd., S. 126). Sina schreibt und verschickt häufiger Zettelchen während des Unterrichts, was vermuten lässt, dass ihr die erzeugte Aufmerksamkeit bei den Mitschülern durchaus bewusst ist. Sina nutzt die Momente aus, in denen die Lehrkraft der Klasse den Rücken zukehrt, was darauf hindeuten könnte, dass sie nicht von ihr entdeckt werden möchte (vgl. ebd., S. 127). Als sie bemerkt, dass Adrian erneut einen Blick auf den Zettel werfen möchte, verbalisiert sie ihm klar, dass der Zettel nicht an ihn adressiert ist und sie ihm keine Einsicht gewähren möchte. Möglicherweise liegt es daran, dass die beiden Kinder unterschiedlichen Freundeskreisen angehören, die auch in Pausenzeiten häufig den Kontakt meiden. Es besteht kein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Sina und Adrian. Eine weitere mögliche Erklärung für Sinas Verhalten wäre, dass sie weiterhin das Interesse von Adrian auf sich und den Zettel richten möchte, welches eventuell verloren gehen würde, wenn er den Inhalt des Zettels kennen würde.

Dass sich das Geschehen auf der Hinterbühne abspielt wird erneut deutlich, als sich die Lehrkraft der Klasse zuwendet und Sina den Zettel in ihrer Hand versteckt. Die Tarnung, Verhüllung und das Verstecken sind feste Bestandteile der Zettelpraktik. Dadurch wird dem Verfasser sowie auch dem Publikum ein Beleg für die geheimnisvolle Bedeutung geliefert (vgl. ebd., S. 127).

Luca dreht sich neugierig wirkend zu den Akteuren um, was darauf hindeuten könnte, dass er inzwischen auf das Briefchenschreiben aufmerksam geworden ist. Zettelaktivitäten geben den Kindern häufig Hinweise über aktuelle Beziehungskonstellationen, wodurch auch das Interesse von Außenstehenden schnell geweckt wird (vgl. ebd., S. 125). Das nicht-involvierte Publikum erfüllt die Aufgabe, überhaupt erst Gemeinschaft inszenieren zu können (vgl. ebd., S. 127).

Neue Situationen entstehen dann, wenn Zuschauer zu Akteuren werden. Zu der Praktik des Zettelns gehört neben dem Schreiben bei längeren Wegen auch die Weitergabe durch die Mitschüler, die dadurch zu Boten werden (vgl. ebd., S. 125). Sie erhalten damit eine verantwortungsvolle Aufgabe, die für das Gelingen entscheidend ist. Die Weitergabe der Zettelchen ist für viele Kinder ein Zeichen dafür, dass sie Teil der Klassengemeinschaft sind. Durch die wiederholte Ausführung der gemeinsamen Handlungsgepflogenheiten bilden sich soziale Praktiken (vgl. ebd., S. 120).

Jasmins Reaktion lässt vermuten, dass sie sich nicht gerne an der Praktik des Zettelns beteiligen möchte (siehe Beobachtung: „Diese lässt die Schultern hängen und fragt auf mich genervt wirkend: „Was ist?“). Ihre Stimmlage lässt mutmaßen, dass sie genervt ist, dennoch gibt sie den Zettel weiter. Die Peers können sich der Aufforderung, einen Brief weiterzugeben, nicht entziehen. Kinder, die auf dem Postweg sitzen, müssen die Aufgabe annehmen und sich dem Risiko, entdeckt zu werden aussetzen. Dafür müssen eigene Aktivitäten möglicherweise unterbrochen werden. Postboten sind zwar durch die Weiterleitung aktiv eingebunden, gehören aber dennoch nicht der Gemeinschaft der Zettelnden an. Eine Verweigerung der Weitergabe könnte einen Imageschaden zur Folge haben (vgl. ebd., S. 127). Jasmins Verhalten deutet darauf hin, dass sie nicht aus der Klassengemeinschaft ausgeschlossen werden möchte (vgl. ebd., S. 127). Sie passt sich an die Verhaltenserwartungen ihrer Mitschülerin an, wodurch die Schülerrolle kurzzeitig in den Hintergrund gerät. Jasmin hält sich an die Spielregel, den Brief entweder während einer unruhigen Phase oder wenn die Lehrkraft abgelenkt ist, weiterzugeben (vgl. ebd., S. 130). Olaf, der das Zetteln von hinten zu verfolgen scheint, fordert sie dazu auf, den Zettel weiterzureichen. Olaf tritt als pflichtbewusster Bote auf, dem die peerkulturelle Praktik vermutlich wichtig erscheint. Er leitet den Zettel direkt weiter, ohne die Lehrkraft dabei im Blick zu halten. Es wird deutlich, dass für ihn die Zugehörigkeit zu der Klassengemeinschaft eine große Rolle spielen könnte und dem Unterrichtsgeschehen in dem Moment vorangestellt wird. Alternative Erklärungen für Olafs Verhalten könnten sein, dass er lediglich daran interessiert ist, den Empfänger ausfindig zu machen oder dass er Eindruck schinden möchte bei Sina. Weiterhin wäre es möglich, dass er das Unterrichtsgeschehen langweilig findet und er eine alternative Beschäftigung sucht.

Die aufkeimende Unruhe in der Klasse bleibt von der Lehrkraft nicht unbemerkt. Es wird deutlich, dass das Peergeschehen der Hinterbühne auf die Vorderbühne tritt und zu einer Umgestaltung des eigentlichen Unterrichts führt (vgl. Wagner-Willi 2018, S. 61). Die Lehrkraft verbalisiert ihre Verärgerung vor der Klasse. Sie gibt der peerkulturellen Rahmung jedoch zunächst nicht zu viel Aufmerksamkeit. So verliert sie die Anknüpfung an den Unterricht nicht. Sina sichert mit ihrem umschweifenden Blick möglicherweise ab, dass ihr Zettel nicht sichtbar für die Lehrkraft auf einem Tisch liegt. Außerdem könnte es sein, dass Sina verhindern möchte, dass ein Kind außerhalb ihrer Peergroup die Inhalte des Zettels liest und der Zettel bei der von ihr bestimmten Person ankommt. Jasmin scheint weiterhin auf die Zettelpraktik fokussiert zu sein. Sie wendet sich Sinas suchenden Blicken mit einem Schulterzucken zu. Die Geste soll womöglich zeigen, dass sich auch Jasmin nicht sicher ist, wer den Zettel in dem Moment aufbewahrt. Die von Sina hervorgebrachte Praktik des Zettelns tritt erneut auf die Vorderbühne, als die Lehrkraft Sina direkt auf ihr Verhalten anspricht. Sina zuckt zusammen, was darauf hindeuten könnte, dass sie sich ertappt fühlt. Dass sich Sina auf ihre Hände setzt und auf ihrem Stuhl zurücklehnt, soll der Lehrkraft möglicherweise zeigen, dass sie keiner außerunterrichtlichen Tätigkeit nachgeht und sie aufnahmebereit für die Unterrichtsinhalte ist.

Auch Mona wird in die Weitergabe des Zettels eingebunden. Ihre Reaktion lässt vermuten, dass für sie die Schülerrolle während des Unterrichts oberste Priorität hat und sie sich regelkonform verhalten möchte (siehe Beobachtung: „Diese schenkt dem Zettel zunächst keine Beachtung und streckt ihren Arm in die Höhe.“). Mona stellt eine Frage zu unterrichtlichen Themen, was verdeutlicht, dass sie dem Unterrichtsgeschehen folgt. „Olaf stößt Mona mit dem Ellenbogen in die Seite. Diese wendet sich ihm zu, verdreht die Augen und legt den kleinen Zettel auf den Tisch von Nina und Lennox.“ Die Beobachtung legt die Vermutung nahe, dass sie den Ausschluss aus der Gemeinschaft verhindern möchte. Lennox wird durch seinen Platz hinten in der Ecke selten in die soziale Praktik des Zettelns eingebunden. Er schaut zunächst ratlos wirkend auf den Zettel. Nina, die als Empfängerin des Briefes auftritt, hält sich an das Gebot, den Zettel beim Öffnen und Lesen vor dem Lehrer zu verstecken (vgl. Bennewitz 2009, S. 130). Sie hält ihn in der verschlossenen Hand. Als der Zettel dennoch von der Lehrkraft in ihrer Hand bemerkt wird, wird die Interaktion auf Peerebene abgebrochen. Nina kommt der Aufforderung und den Erwartungen der Lehrkraft vermutlich mit dem Blick auf ihre Verpflichtungen als Schülerin nach und packt den Zettel weg. Alle zuvor beteiligten Schüler richten ihren Blick nach vorne zu der Lehrkraft, sodass ein Bruch in der Peerinteraktion entsteht. Es wird der Eindruck erweckt, dass sich alle Akteure fortan auf ihre Schülerrolle zu fokussieren versuchen.

Situation 2

Ich befinde mich vorne im Klassenraum der dritten Klasse (alle 23 Kinder anwesend) an einem Einzeltisch, der unmittelbar neben dem Lehrerpult steht. Die Tische sind weiterhin wie in der ersten Beobachtung angeordnet. Ich habe meinen Notizblock sowie mein Mäppchen mit Stiften vor mir auf dem Tisch liegen. Es ist der Beginn der vierten Unterrichtsstunde. Zuvor fand eine Religionsstunde bei einer anderen Lehrkraft in dem gleichen Klassenraum statt. In der Übergangssituation tauschten sich die beiden Lehrkräfte für ca. zwei Minuten über einen anstehenden Gottesdienst aus. In dieser Zeit verließen einige Schüler ihren Sitzplatz, um mit anderen Mitschülern ins Gespräch zu kommen. Zwei Kinder suchten die Toilette auf und betreten nun kichernd den Raum. Es ist 10:32 Uhr als die Religionslehrkraft den Klassenraum verlässt.

Dichte Beschreibung

Die Lehrkraft schließt die Tür, was nur von wenigen Kindern gesehen wird. Sie stellt sich vor die Tafel und schaut sich in der Klasse um. Einige Kinder laufen noch durch den Raum und unterhalten sich mit ihren Mitschülern. Tobias sitzt bereits sehr ruhig mit aufrechter Körperhaltung auf seinem Platz. Lisa holt Süßigkeiten aus ihrer Tasche und legt sie in ihre Mappe. Leander und Ina stellen ihre Unterhaltung ein. Leander legt seine Hände auf dem Tisch ab. Ina hebt den rechten Arm und macht mit ihren Fingern das „Leisefuchszeichen“, wobei der kleine Finger und der Zeigefinger in die Höhe zeigen, die anderen drei Finger werden leicht gegeneinandergedrückt. Tobias schaut in Inas Richtung und hebt ebenfalls seinen rechten Arm und macht das Zeichen. Daraufhin folgen auch Elias, Julia und Nina. Olaf und Mona hören auf zu flüstern, Anton und Susanne nehmen ihre Plätze ein. Die Lehrkraft schaut in Inas Richtung und sagt kopfnickend: „Danke Ina und Tobias.“ Mika und Leander drehen sich in Inas Richtung und machen ebenfalls das Zeichen. In der gesamten Klasse stellen sich die Gespräche ein. Es ist inzwischen 10:34 Uhr. Die Lehrkraft sagt mit erhobener Stimme: „So, das hat jetzt aber lange gedauert.“ Tobias nimmt seinen Arm herunter, die anderen Kinder ziehen damit nach. Ina nimmt erst etwa fünf Sekunden später den Arm herunter. Sie blickt dabei die Lehrkraft an.

Die Lehrkraft leitet zu dem Englischspiel „lebendiges Memory“ über. Julia wackelt mit ihrem Arm in der Luft und fragt, ob sie das Spiel erklären darf. Martin und Maja drehen sich zu ihr um während sie das Spiel erklärt. Julia erklärt die Spielregeln mit lauter Stimme, gestikuliert dabei unterstützend mit ihren Händen und schaut dabei abwechselnd zu Lina und der Lehrkraft. Im Anschluss wählt die Lehrkraft zwei Kinder aus (Lina und Julius), die in der ersten Runde gegeneinander lebendiges Memory spielen dürfen. Die Auswahl wird von einigen Kindern mit einem Stöhnen kommentiert. Julius stemmt seine Hände in die Hüften und ruft zu Mika gewandt: „Ich gewinne bestimmt.“ Lina und Julius verlassen für etwa sieben Minuten den Klassenraum. Die Lehrkraft fordert dazu auf, dass sich immer zwei Partner zusammen einen englischen Satz zum Thema „Körper“ überlegen sollen. Manche Kinder bleiben auf ihren Plätzen sitzen und schauen sich zu ihren Mitschülern um. Mona ruft Nina zu, ob sie sich einen Satz zusammen ausdenken wollen. Andere Kinder springen direkt von ihrem Stuhl und gehen gezielt auf ein bestimmtes Kind zu. Melina geht auf Susanne zu, tippt dieser auf die Schulter und fragt, ob sie zusammen ein Paar bilden wollen. Susanne dreht sich zu Maja um und nickt ihr zu. Danach sagt sie zu Melina gewandt, dass sie schon mit Maja zusammenarbeiten möchte. Es wird unruhiger in der Klasse, viele Kinder laufen durcheinander. Manche Kinder finden keinen Partner und wenden sich an die Lehrkraft.

Lisa sitzt immer noch auf ihrem Platz. Ich vermute, dass sie nicht weiß, welches Kind sie ansprechen soll. Die Lehrkraft kündigt mit lauter Stimme an, dass sich die Kinder, die keinen Partner gefunden haben, vorne vor der Tafel versammeln sollen. Lisa erhebt sich und geht mit langsamen Schritten zu der Tafel, auch Melina, Luca und Lennox finden sich vorne ein. Die Lehrkraft teilt die letzten vier Kinder in zwei Zweierteams ein. Es ist 10:40 Uhr und alle Kinder sind dabei, sich mit ihren Partnern einen Satz zu überlegen. Manche Kinder fordern Hilfestellung von der Lehrkraft ein, andere schreiben ihren Satz auf ein Blatt Papier. Möglicherweise wollen sie sich damit vergewissern, dass sie ihren Satz während des Spiels nicht vergessen. Um 10:43 Uhr finden sich alle Schüler auf ihren Plätzen ein.

Lina und Julius betreten schnellen Schrittes den Raum und platzieren sich vorne vor der Tafel. Julius tritt im Stehen abwechselnd mit dem linken und rechten Fuß auf den Boden, er verlagert dabei sein Gleichgewicht hin und her. Außerdem verschränkt er seine Arme vor dem Oberkörper. Die Lehrkraft legt eine Strichliste an, mit der der Punktestand für beide Kinder dokumentiert wird. Die Lehrkraft sagt: „Julius darf beginnen.“ Dieser fragt leise mit dem Kopf schiefgelegt: „Was muss ich denn noch mal machen?“ Benedikt ruft laut: „Oh Julius, das haben wir doch schon einmal gespielt!“ Die Lehrkraft schaut kurz zu Benedikt, danach erinnert sie Julius in Kurzform an die normalen Memoryspielregeln. Julius sagt: „Achja, jetzt weiß ich es wieder!“ Er schaut sich in der Klasse um. Mika wackelt unter dem Tisch mit den Füßen. Anton schaut nach hinten zu seinem Spielpartner und nickt diesem zu. Julius folgt dem Blick und wählt Anton aus, welcher dann seinen Satz vor der Klasse vorträgt. Anton beißt sich auf die Unterlippe. Er muss seinen Satz zweimal von vorne beginnen, um ihn vollständig richtig aufzusagen. Im Anschluss wählt Julius Martin aus, der ebenfalls seinen Satz vorträgt. Es handelt sich dabei um den gleichen Satz. Die beiden Spielpartner müssen sich nun auf ihren Stuhl setzen und können nicht mehr am Spiel teilnehmen. Julius ruft: „Wusste ich es doch, dass ihr zusammen macht!“ Die Lehrkraft fügt den Punkt in der Liste hinzu, was von einigen Kindern in der Klasse mit einem Jubelruf kommentiert wird. Julius setzt ein lächelndes Gesicht auf, nimmt eine aufrechte Körperhaltung ein und stemmt seine Arme dabei seitlich gegen seine Hüfte. Die Lehrkraft gibt den Schülern den Tipp, nicht immer nur Freunde als Spielpartner auszuwählen, da diese Paare sonst zu schnell von den Spielern vorne aufgedeckt werden. Im Anschluss ist Lina an der Reihe. Sie wählt Benedikt und Sina aus. Benedikt schaut in die Luft und sagt: „Oh, jetzt habe ich den Satz wieder vergessen.“ Julius haut sich leicht mit der Handfläche seiner linken Hand vor die Stirn und sagt im Flüsterton kaum hörbar: „Ist der dumm.“ Benedikt greift nach einem Zettel in seiner Hosentasche, holt ihn hervor und liest langsam und leise seinen Satz vor. Lina wählt außerdem Sina aus. Sina trägt ihren Satz laut und deutlich vor. Da sich der Satz von dem vorherigen unterscheidet, erhält Lina keinen Punkt. Mika ruft: „Die Jungs sind eh besser!“ Sein Zwischenruf bleibt von der Lehrkraft und den Mitschülern unkommentiert. Lina nimmt keinen Blickkontakt zu Mika auf. Sie dreht sich ein kleines Stück und wendet sich dabei verstärkt der rechten Klassenhälfte zu. Julius erhält erneut die Wortführung.

Analytische Dimensionierung

Die Beobachtung lässt vermuten, dass Ina die Unruhe im Klassenzimmer sowie die Erwartungshaltung der Lehrkraft sieht. Ina macht das Leisefuchszeichen, was in der Klasse häufig eingesetzt wird, damit Ruhe im Raum einkehrt. Es handelt sich hierbei um ein non- verbales Signal, welches normalerweise von der Lehrkraft ausgehend bei Störungen oder um Aufmerksamkeit zu erzeugen genutzt wird (vgl. Niermann 2017, S. 137). Es könnte sein, dass Ina, die immer wieder als engagierte Schülerin auftritt, die Aufmerksamkeit und Wertschätzung der Lehrkraft sucht. Julia und Nina blicken in Inas Richtung und nehmen dann ebenfalls wortlos die Leisefuchshaltung ein. Es liegt die Vermutung nahe, dass die Reaktion ihrer Peers durch Ina hervorgerufen wird. Die beiden Mädchen stellen ihre Gespräche dabei ein. Die Nachahmung durch die Peers könnte Ina zeigen, dass sie sie unterstützen. Die Reaktion könnte außerdem als eine indirekte Wertschätzung und Akzeptanz ihrer Position innerhalb der Gruppe gedeutet werden.

Auch Tobias, der ein sehr ruhiger und zurückhaltender Schüler ist, welcher sich selten am unterrichtlichen Geschehen beteiligt, greift die von Ina gezeigte Fingerhaltung auf. Er steht in keinem freundschaftlichen Verhältnis zu Ina. Daher liegt die Vermutung nahe, dass er damit mehr auf Anerkennung durch die Lehrkraft abzielt. Es könnte allerdings auch sein, dass Tobias Ina als Person schätzt und er deshalb die gleiche Haltung einnimmt. Tobias löst eine Reaktion innerhalb seiner eigenen Peergruppe aus. Elias, sein enger Freund und Sitznachbar, betrachtet Tobias Fingerhaltung und nimmt diese ebenfalls ein. Andere Peers stellen ihre Unterhaltung ein. Das von Ina ausgehende Leisefuchszeichen verdeutlicht zum einen Macht und Einfluss der eigenen Peergruppe während des Unterrichts, zum anderen wird die große Bedeutung von bereits eingeführten Ritualen und Zeichen deutlich. In dieser Situation findet die Peerinteraktion deutlich sichtbar auf der Vorderbühne statt (vgl. Willi- Wagner 2018, S. 62f.). Inas durchgeführte Handlung erzeugt bei einigen Mitschülern sowie der Lehrkraft Aufsehen, das durch Blicke und einen kurzen Dank durch die Lehrkraft zum Ausdruck gebracht wird.

Für das anschließende Spiel wählt die Lehrkraft zwei Kinder aus, die den Klassenraum für kurze Zeit verlassen müssen. In der Zeit sollen sich Kinder zu Paaren zusammenfinden. Es ist deutlich erkennbar, dass sich viele Kinder direkt in die Richtung ihres guten Freundes bewegen. Auch hier spiegelt sich Peerverhalten deutlich wider. Besonders Mona sticht dabei durch ihren verbalen Zuruf an Nina gerichtet heraus. Melina, die keiner Peergroup innerhalb der Klasse angehörig ist, wird sichtbar von Susanne zurückgewiesen. Diese entscheidet sich dafür, mit einer Freundin zusammenarbeiten (siehe Beobachtung: „Susanne dreht sich zu Maja um und nickt ihr zu. Danach sagt sie zu Melina gewandt, dass sie schon mit Maja zusammenarbeiten möchte“). Thiel (vgl. 2016, S. 45) hebt hervor, dass Ab- und Ausgrenzungsprozesse im Unterricht nicht nur Einfluss auf das Klassenklima nehmen, sondern Folgen für die kognitiven und affektiven Lernerträge sowie für das Verhalten schlecht integrierter Schüler entstehen. Durch die unzureichende Integration, die häufig als mangelnde Akzeptanz verspürt wird, können Lern- und Verhaltensprobleme für die ausgegrenzten Schüler entstehen (vgl. ebd., S. 45f.). Auch Lisa bleibt zunächst auf ihrem Platz sitzen und umgeht die Partnersuche. Für die beiden Mädchen wäre es wahrscheinlich einfacher gewesen, wenn die Paarbildung von der Lehrkraft zugewiesen worden wäre. In Zweiergruppen herrscht eine intimere Arbeitsbeziehung als in einer größeren Gruppe, welche wiederum eine gewisse Öffentlichkeit repräsentiert. Die Aufnahme in eine größere Arbeitsgruppe ist selten an eine Zustimmung durch alle Mitglieder gebunden, wohingegen die Bildung einer Partnerschaft die beiderseitige Zustimmung voraussetzt (vgl. Breidenstein 2006, S. 160f.).

Julius macht durch sein abwechselndes Auftreten mit dem rechten und linken Fuß einen nervösen Eindruck als er sich vorne vor der Klasse platziert. Er erfragt leise die Spielregeln, obwohl lebendiges Memory bereits mehrmals in unterschiedlichen Fächern und Kontexten zum Einsatz kam. Den Bereich der Tafel vorne einzunehmen kostet viele Schüler Überwindung, da man den „öffentlichen Raum“ betritt, an dem man von allen Schülern fokussiert wird. Eine Besonderheit besteht darin, dass es vorne keine Sitzplätze gibt, sondern dass man im Stehen den Blicken der Mitschüler ungeschützt ausgesetzt ist. Es wird dort für kurze Zeit die Lehrerrolle übernommen (vgl. Breidenstein 2006, S. 108). Wer vorne vor der Klasse steht „[…] wird potentiell zum Gegenstand von Kommentierung und zur Quelle von Amüsement“ (ebd., S. 109). Dies zeigt sich auch in der Beobachtung, als die Unwissenheit von Julius durch Benedikt kommentiert wird. Mit seiner Aussage beschädigt Benedikt für kurze Zeit das öffentliche Image von Julius (vgl. ebd., S. 110). Die vorne stehenden Kinder werden besonders durch die eigenen Freunde mit Blicken fokussiert. Den Platz der Lehrkraft vorne einzunehmen kann Chancen mit sich bringen, da die Kinder die Möglichkeit erhalten, ihr Können und Wissen vor der Klasse unter Beweis zu stellen. Möglicherweise wird den entsprechenden Kindern Anerkennung und Wertschätzung für ihre Leistung entgegengebracht (vgl. Thiel 2016, S. 45f.).

Vor Beginn des Spiels legt die Lehrkraft für alle sichtbar an der Tafel eine Strichliste an, in der die Punkte der beiden Kinder festgehalten werden. Möglicherweise werden dadurch der Konkurrenzkampf der Freundeskreise sowie der Anreiz, als für alle Kinder sichtbarer Gewinner vor der Gruppe auftreten zu können, verstärkt. Auch wenn offiziell nur die beiden vorne im Fokus stehenden Kinder gegeneinander antreten, kristallisiert sich schnell ein Wettkampf der beiden Peergruppen der Klasse heraus. Dies macht sich dadurch bemerkbar, dass die engsten Freunde den jeweiligen Freund anfeuern und jubeln, sobald der eigene Freund einen Punkt erzielt hat. Auch Thiel betont, dass nicht nur die Zugehörigkeit zu einer Gruppe (Ingroup) für die Kinder bedeutsam ist, sondern dass gleichzeitig auch immer eine Abgrenzung von anderen Gruppen (Outgroups) stattfindet. Diese sei ebenfalls wichtig für die Entwicklung und Stabilisierung der sozialen Identität. Durch die Jubelrufe erfährt Julius Anerkennung von seinen Peers (vgl. Thiel 2016, S. 45f.). Vermutlich wird ein Gefühl des Stolzes hervorgerufen, was dadurch sichtbar wird, dass Julius ein lächelndes Gesicht aufsetzt sowie eine aufrechte Körperhaltung einnimmt (siehe Beobachtung).

Es liegt die Vermutung nahe, dass der vor Spielbeginn geäußerte herabsetzende Kommentar von Benedikt an Julius gerichtet dazu führt, dass Julius die Vergesslichkeit von Benedikt ebenfalls für alle Kinder sichtbar mit einer Gestik unterstreicht (s.o. […] „Julius haut sich leicht mit der Handfläche seiner linken Hand vor die Stirn […]“). Möglicherweise erhofft sich Julius, dass seine eigene Beschämung vor der Klasse so in Vergessenheit gerät und sein eigenes Image wieder aufgewertet wird.

Die Zwischenrufe von Mika an Lina gerichtet stellen eine Zurückweisung dar, wodurch sich Mika gleichzeitig von der anderen Peergruppe abgrenzt (Outgroups). Thiel führt an, dass eine ausbleibende Anerkennung oder Zurückweisung beschämend wirken kann (vgl. ebd., S. 45f.). Es ist möglich, dass Lina deshalb eine von Mika wegweisende Position einnimmt. Es könnte gleichzeitig ein nonverbales Zeichen für die Inakzeptanz der Aussage „Die Jungs sind eh besser“ sein.

Fazit

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich Peerverhalten während des Unterrichts sowohl auf der Vorder- als auch auf der Hinterbühne zeigt. Der Einfluss der eigenen Peergroup ist nicht nur in Pausenzeiten besonders ausgeprägt, sondern wird die Rolle als Peer auch in den Unterrichtsstunden häufig der Schülerrolle vorangestellt. Dabei bleiben einige Verhaltensweisen und Interaktionen der Kommunikation von Lehrkräften unentdeckt. Dennoch können diese den Unterricht maßgeblich beeinflussen und verändern, da sich Schüler schnell durch die verschiedenen Nebenshowplätze ablenken lassen und häufig auch eine Mitwirkung von Außenstehenden für das Gelingen der Interaktion erforderlich ist (vgl. Bennewitz 2009, S. 123ff.). Aus Sicht des Unterrichts handelt es sich bei den Peertätigkeiten um Hinterbühnen oder Nebentätigkeiten, für Schüler hingegen „[…] geht es um die hohe Kunst der Gleichzeitigkeit und eine ausgefeilte Ökonomie der Aufmerksamkeit“ (Breidenstein 2006, S. 121). Die divergierenden Erwartungen an die Schüler- und die Peerrolle verlangen einen ständigen Balanceakt, dessen Austarierung individuell stattfindet. Die Schwerpunkte der Aufmerksamkeit verlagern sich permanent. Es erfolgt eine Suche nach interessant erscheinenden Ereignissen, sodass das frontale Unterrichtsgeschehen nur einen möglichen Punkt der Fokussierung darstellt (vgl. ebd., S. 121f.). Dem laufenden Unterricht wird häufig ein Minimum an Aufmerksamkeit gewidmet, um den Faden nicht zu verlieren und anschlussfähig zu bleiben. Die Verweildauer der Aufmerksamkeit hängt zum einen von der Attraktivität des aktuellen Unterrichtsgeschehens ab. Zum anderen ist die Anziehungskraft der konkurrierenden Nebentätigkeit entscheidet. Auch die Unterhaltung mit dem Sitznachbarn oder das Zetteln können von Leerlauf und Langeweile geprägt sein und sind nicht immer per se spannend. Nebentätigkeiten sind oftmals so geschickt in den Ablauf integriert, dass sie von der Lehrkraft nicht als Störung wahrgenommen werden (vgl. ebd., S. 121f.).

Die in der ethnographischen Beobachtung vernommene Praktik des Zettelns läuft vermutlich mit zunehmender Klassenstufe immer ritualisierter ab, sodass sie dann von vielen Lehrkräften nicht mehr bemerkt wird. Die Schüler wachsen in ihre Rolle als Boten hinein und verhalten sich deshalb wahrscheinlich immer weniger auffällig. In der Beobachtung wurde deutlich, dass einzelne Schüler die Botenrolle noch nicht richtig verinnerlicht hatten, sodass Störungen im Ablauf aufkamen (siehe beispielsweise die Reaktionen von Lennox und Jasmin). Ich vermute, dass sich auch in dieser Klasse die Praktik des Zettelns immer weiter festigen wird, sodass es auch für viele Schüler zunehmend leichter werden könnte, die Aufmerksamkeit gleichzeitig auf die verschiedenen Showplätze zu richten.

Die Interaktion auf Peerebene kann positive Auswirkungen auf die einzelnen Schüler haben, wenn diese Anerkennung und Wertschätzung durch die eigenen Peers erfahren. Dadurch wird gleichzeitig das Gemeinschaftsgefühl der Gruppe gestärkt. Dennoch kann die Peerinteraktion auch negative Folgen für das Selbstwertgefühl einzelner Schüler haben, sobald Ausgrenzungserfahrungen gemacht werden oder eine Bloßstellung vor der Klasse stattfindet (siehe beispielsweise Beschämung von Lina in der Beobachtung: Mika ruft: „Die Jungs sind eh besser!“ ) (vgl. Thiel 2016, S. 45f.).

Insgesamt ist erkennbar, dass sich Peerverhalten an ganz unterschiedlichen Stellen im Unterricht widerspiegeln kann. Lehrkräften sollte dieser Fakt stets bewusst sein. Sie sollten Peerverhalten nicht grundsätzlich zu unterbinden versuchen, da der Lernort Schule ein grundlegender Ort für Peerkontakte ist und viele Schüler nur deshalb ein positives Bild von Schule entwickeln können (vgl. Zschach 2010, S. 105f.). Es ist wichtig, Zeiträume für gemeinschaftsstärkende Aktivitäten in die Unterrichtsplanung einzubauen, damit sich auch Einzelgänger dem Klassengefüge zugehörig fühlen und Ausgrenzung entgegengewirkt werden kann.

Für die weitere Forschung wäre es aus meiner Sicht interessant, Peerverhalten nicht nur während des Unterrichts, sondern auch während der Pausenzeiten zu beobachten. So würde ein eher auf der Hinterbühne stattfindendes Peergeschehen sichtbar und es könnten Vergleiche angestellt werden. Ein weiterer aufschlussreicher Forschungsansatz könnte sich ergeben, wenn Peerverhalten während des Unterrichts in verschiedenen Klassenstufen betrachtet würde. Da viele Peerinteraktionen mit zunehmendem Alter ritualisierter ablaufen und sich die einzelnen Peergruppen in ihren Konstellationen immer mehr festigen, wäre es spannend, Vergleiche zwischen den einzelnen Altersgruppen anzustellen. Außerdem verändert sich bei vielen Schülern vermutlich je nach Alter die Verlagerung der Aufmerksamkeit mehr auf die Peer- oder die Schülerrolle, weshalb der Vergleich zwischen den Altersgruppen sicherlich aufschlussreiche Ergebnisse liefern würde.

Literatur

  • Bennewitz, H. (2009): Zeit zu Zetteln! – Eine Praxis zwischen Peer- und Schülerkultur. In H. de Boer & H. Deckert-Peaceman (Hrsg.): Kinder in der Schule: Zwischen Gleichaltrigenkultur und schulischer Ordnung (1. Aufl., S. 119-136). Wiesbaden: VS Verlag.
  • Breidenstein, G. (2012): Ethnografisches Beobachten. In H. de Boer & S. Reh (Hrsg.): Beobachtung in der Schule – Beobachten lernen (S. 27-44). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
  • Breidenstein, G. (2006): Teilnahme am Unterricht – Ethnographische Studien zum Schülerjob. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
  • Lindner, D. & Rosenberger, K. (2019): Ethnografisches Beobachten und Schreiben im Lehramtsstudium. Journal für LehrerInnenbildung, 19(4), S. 62-70. Klinkhardt.
  • Niermann, A. (2017): Professionswissen von Lehrerinnen und Lehrern des Mathematik- und Sachunterrichts. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
  • Otto, A. (2015): Positive Peerkultur aus Schülersicht – Herausforderungen (sonder-) pädagogischer Praxis. Wiesbaden: Springer VS.
  • Thiel, F. (2016): Interaktion im Unterricht – Ordnungsmechanismen und Störungsdynamiken. Opladen & Toronto: Budrich.
  • Wiesemann, J. (2011): Ethnographische Forschung im Kontext der Schule. In H.-U. Grunder; K. Kansteiner-Schänzlin & H. Moser (Hrsg.): Professionswissen für Lehrerinnen und Lehrer (S. 167-185). Baltmannsweiler: Schneider-Verl. Hohengehren.
  • Wagner-Willi, M. (2018): Rituelle Praktiken auf den schulischen Vorder- und Hinterbühnen. In J. Brühlmann & D. Conversano (Hrsg.): Rituale an Schulen: wirksam und unterschätzt (S. 58-62). Zürich: LCH.
  • Zschach, M.; Zitzke, C. & Schirner, M. (2010): Schule als Kontext und Thema von Freundschaftsgruppen in einer Längsschnittperspektive. In H.-H. Krüger; S.-M. Köhler; M. Zschach (Hrsg.): Teenies und ihre Peers – Freundschaftsgruppen, Bildungsverläufe und soziale Ungleichheit. Opladen & Farmington Hills: Budrich.

Peerkultur in der Schule – Eine ethnographische Analyse peerkultureller Verhaltensweisen während der Frühstückspause (Anonym)

Diese Arbeit ist aus Gründen des Datenschutzes anonym veröffentlicht.

Inhalt

  • Einleitung
  • Methodische Vorgehensweise
    • Ethnographie als methodische Vorgehensweise
    • Meine Rolle als Forscherin und die Reaktion des Feldes
  • Beschreibung der Lernkultur der Klasse
  • Dichte Beschreibungen
    • Die Situation
    • Beschreibung 1
    • Die Situation
    • Beschreibung 2
  • Analytische Dimensionierung
    • Zur 1. Beschreibung – Soziale Räume und kindliche Selbstdarstellung
    • Zur 2. Beschreibung – Spielkultur und Geschlecht
  • Fazit
  • Literaturverzeichnis

Einleitung

Schule ist geprägt durch peerkulturelle Handlungen. Der Begriff Peerkultur bezeichnet die Kultur der Gleichaltrigen, also ihre Praktiken, ihr Wissen und ihr soziales Beziehungssystem (vgl. Breitenstein, 2008, S. 945). Die Peerkultur einer Schulklasse unterscheidet sich dabei noch einmal stark von der einer Clique, Bande oder einem Freundeskreis, da ihre Zugehörigkeit unfreiwillig ist und durch staatliche Zuteilung erzeugt wurde (vgl. Bennewitz und Meier, 2010, S. 98). Die Mitglieder einer Klasse verbringen über viele Jahre einen Großteil ihrer Tageszeit miteinander (vgl. ebd.). So entwickeln sich auch im Rahmen von Schule und innerhalb eines Klassenverbandes soziale Beziehungen und Freundschaftsgruppen (vgl. Breitenstein, 2008, S. 945) und es entstehen soziale Praktiken, mit denen die Schülerinnen und Schüler1 ihre unterrichtliche Umwelt sowie ihre Beziehungen gestalten (vgl. Bennewitz und Meier, 2010, S. 98). Es bildet sich innerhalb des Klassenverbands eine eigenständige Peerkultur, die weitgehend unabhängig von schulischen Zielsetzungen ist (vgl. Breitenstein, 2008, S. 945). Dennoch befinden sich SuS während eines Schultages in einem Spannungsverhältnis zwischen den vorgeschriebenen institutionellen- und unterrichtlichen Ordnungssystemen und denen der durch die Peerkultur vorgegebenen Dimensionen (vgl. Wagner-Willi, 2005, S. 65). Besonders die Pause, als strukturschwacher Übergang zur nächsten Unterrichtsstunde, zeigt ein Spannungsfeld zwischen den Peers, der Klassengemeinschaft und der Institution, „in denen vor allem durch Ritualisierungen Grenzziehungen und Gemeinsamkeiten in Gruppen hergestelltwerden“ (Tervooren, 2001, S. 205). Peers haben innerhalb der Schulzeit Räume und Zeiten, die von ihnen eingenommen werden können. Dazu gehören insbesondere der Pausenhof und die Pausen im Allgemeinen (vgl. Heinzel, 2012, S. 183). Die Schulpausen spielen also bei der Entwicklung der Peerkultur eine entscheidende Rolle. Sie dient als Rückzugsort der SuS, in denen sie ihre Rolle als Schüler/in teilweise ablegen und intensiv mit ihren Peers in den Austausch treten können. Wagner-Willi (2018) beschreibt die Pause als eine Art Hinterbühne, die den SuS als Entlastung und zum Bilden von Gemeinschaften innerhalb der Peers dient und knüpft dabei an die Theatermetaphorik Victor Tuners an (Breitenstein, 2008, S. 948). In dem Zusammenhang wird Schule als eine offene Bühne betrachtet, auf der das Lehr-Lern- Geschehen aufgeführt wird (vgl. Wagner-Willi, 2018, S.58). Diese Bühne wird aufgeteilt in eine Vorder- und Hinterbühne, wobei die Vorderbühne den Unterricht zeigt und die Hinterbühne (z.B. Toiletten oder Pausenplätze) der Entfaltung von Subkulturen wie den Peers oder auch zum Vor- und Nachbereiten von Unterrichtssituationen dient (vgl. ebd.). Die SuS bewegen sich also während eines Schultages auf den Bühnen des Klassenraums ständig zwischen der Peerkultur und der Unterrichtsordnung (vgl. Heinzel, 2012, S.178).

Im Fokus meiner Arbeit stehen Peerkulturelle Verhaltensweisen sowie Handlungen von SuS einer dritten Schulklasse während der Frühstückspause innerhalb der Schule als ihre alltägliche Lebenswelt. Die im Folgenden aufgeführten Beobachtungen stammen aus meinem Praxissemester. Während diesem fiel mir die Frühstückspause der SuS, also eine Phase am Tag, auf, die sich von den anderen Phasen während eines Unterrichtsmorgens stark unterschied. Wichtig dabei und bei den in dieser Arbeit noch folgenden Beobachtungen, ist zu erwähnen, dass das Schuljahr von der Corona Pandemie geprägt war. Aus dieser Lage heraus gab es Besonderheiten und veränderte Regeln im Schulalltag. Durch das Hygienekonzept der Schule waren besonders die soziale Interaktion der SuS untereinander eingeschränkt. Die Pausen eigneten sich also am besten, um Peerinteraktionen zu beobachten. Die Frühstückspause hob sich in der Zeit meines Praxissemesters von den anderen Pausen deutlich ab, da die SuS während dieser Zeit ihre Mund-Nasenschutze ablegen durften. Das ermöglichte mir, als Forscherin, ein ganz neues Beobachtungsspektrum, da ich somit auch die Mimik der SuS untersuchen konnte. Zudem führte das Ablegen der Maske und das Frühstücken zu einer angenehm entspannten Stimmung, die mich in kürzester Zeit etliche Interaktionen und Handlungsformen peerkulturellen Verhaltes beobachten ließen.

Methodische Vorgehensweise

Ethnographie als methodische Vorgehensweise

Die ethnographische Feldforschung beschäftigt sich mit der Untersuchung von Interaktions- und Lebensformen, Praktiken und Ritualen sowie einer (Alltags-)Kultur (vgl. Kuhlmann, o.J.). Dieser Forschungszugang verbindet vorwiegend qualitative Forschungsmethoden, um eine (Alltags-)Kultur möglichst genau untersuchen zu können (vgl. ebd.). Der ethnographische Forschungsansatz basiert auf der im frühen 20. Jahrhundert getätigten Erkundung fremder Kulturen im Zuge der Kolonialisierung europäischer Staaten (vgl. Breitenstein, Hirschauer, Kalthoff & Nieswand, 2015, S. 15). Die zentrale Methode der Ethnographie ist die teilnehmende Beobachtung, mit der auch in dieser Arbeit gearbeitet wurde (vgl. Kuhlmann, o.J.). Dabei nimmt der Forscher/ die Forscherin am Alltag der Beforschten teil, um auch Eigenlogiken des Feldes identifizieren zu können. Dabei ist das Einnehmen einer forschend- distanzierten Haltung des Ethnographen/der Ethnographin eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Untersuchung sozialer Praxen (vgl. Lindner und Rosenberger, 2019, S.64). Die Beobachtungen werden in „dichten“ Beschreibungen verschriftlicht. Die „dichten“Beschreibungen werden darauf folgend in analytischen Dimensionierungen untersucht. Diese setz eine analytisch-reflexive Leistung des Forschers/der Forscherin voraus, die dazu beiträgt, keine vorschnellen Schlüsse sowie Interpretationen zu ziehen (vgl. ebd., S.66). In meiner Arbeit zum Thema „Peerkultur in der Schule- Eine ethnographische Analyse peerkultureller Verhaltensweisen während der Frühstückspause“, habe ich mich, wie bereits erwähnt, mit peerkulturellen Interaktions- und Handlungsformen währen der Frühstückspause beschäftigt. Erst eine konsequente Beobachtung und anschließende Analyse des Schülerhandelns ermöglichte mir, die Frage zu beantworten. Dabei begegneten mir die Akteure in der Frühstückspause außerhalb eines unterrichtlichen Kontextes, durch den sich mir repräsentative Beobachtungen für die dichte Beschreibung ergaben.

Meine Rolle als Forscherin und die Reaktion des Feldes

Im Rahmen der ethnographischen Forschung und im Kontext meines Studienprojekts zu meinem Praxissemester habe ich das peerkulturelle Verhalten der SuS während der Frühstückspause beobachtet. Für die im weiteren Verlauf der Arbeit noch folgenden dichten Beschreibungen sowie deren Analyse ist es von Bedeutung, nicht nur das beobachtete „Feld“sondern auch sich selbst als Ethnograf/in zu reflektieren. Somit muss ich meinen Blick auch auf meine Rolle als Forscherin und die Reaktion des Feldes auf meine Anwesenheit als Forscherin bzw. Praxissemesterstudentin richten. Meine Beobachtungen habe ich gegen Ende meines Praxissemesters getätigt. Ich habe mir bewusst mit dem Start meiner Beobachtungen Zeit genommen, um die Klasse sowie deren Besonderheiten zunächst einmal genau kennenzulernen, ein Vertrauen zu den SuS aufzubauen und mir als Forscherin klar zu machen, was genau ich in meinen Beobachtungen beleuchten möchte. Somit war ich zum Zeitpunkt meiner Beobachtungen schon bereits ca. drei Monate ausschließlich in der Klasse drei, der Klasse meiner Mentorin, eingesetzt. In diesen ersten drei Monaten habe ich überwiegend die Rolle der Praktikantin übernommen. Diese Rolle zeichnete sich dadurch aus, dass ich zum Unterrichtsbeginn im hinteren Teil der Klasse saß. Während den Arbeitsphasen setzte ich mich dann unterstützend neben ausgewählte SuS. Vor allem im Fach Sachunterricht durfte ich nach kürzester Zeit auch in die Rolle einer Lehrkraft schlüpfen und den Unterricht ohne Begleitung durchführen. Die SuS konnten mich also in verschiedenen Rollen innerhalb ihrer Klasse kennenlernen. Kurz vor Ende meines Praxissemesters habe ich noch eine dritte Rolle innerhalb der Klasse eingenommen und zwar die der Ethnografin. Besonders in der Frühstückspause unterschied sich dabei mein Rollenverhalten als Praktikantin von dem der Ethnographin. In den ersten drei Monaten habe ich während der Frühstückspause versucht, eine Verbindung zu den SuS meiner Praxissemesterklasse aufzubauen. Ich habe stets gemeinsam mit den SuS gefrühstückt und mich mit den Kindern über schulische sowie außerschulische Dinge unterhalten. In der Rolle als Ethnographin habe ich mein Verhalten diesbezüglich verändert. Ich habe angefangen, vor der Frühstückspause, also wenn die SuS noch in ihrer Hofpause waren, zu frühstücken, damit ich während der Frühstückspause ausschließlich Zeit für die Beobachtungen hatte. Ich habe mich während der Frühstückspause mit meinem Notizblock auf meinen Platz im hinteren Teil der Klasse zurückgezogen, um alle SuS währen der Pause im Blick zu haben. Die Lehrerin sowie die SuS bemerkten mein verändertes Rollenverhalten, indem sie mich fragten, warum ich nicht mehr mitfrühstückte und was ich in meinen Notizblock schriebe. Ich erklärte den SuS meinen Beobachtungsschwerpunkt und warum ich das machte. Das Interesse der SuS als auch der Lehrkraft flachte nach kürzester Zeit merklich ab und sie agierten sich in den ethnografisch festgehaltenen Szenen authentisch.

Beschreibung der Lernkultur der Klasse

Die folgenden ethnographischen Ergebnisse wurden von mir im Rahmen meines Praxissemester an einer großen Schule im Kreis Siegen-Wittgenstein gesammelt. Aufgrund ihres großen Einzugsgebietes kommen SuS aus allen Sozialschichten zusammen, um gemeinsam unter einem Dach zu lernen. Die Schule zeichnet sich vor allem durch ihre hohe Heterogenität aus. Diese Heterogenität spiegelt sich auch in meiner Praxissemester Klasse wider. Ich habe mein ganzes Praxissemester in der Klasse drei, der Klasse meiner Mentorin, verbracht und in dieser auch meine Beobachtungen durchgeführt. Die Klasse besteht aus 23 SuS, davon zehn Jungen und 13 Mädchen. Davon haben elf Kinder einen Migrationshintergrund. Neben der Klassenlehrerin und mir, der Praxissemesterstudentin, befinden sich in der Klasse noch zwei Integrationskräfte, wobei die eine für einen Jungen mit Förderbedarf Lernen und die andere für einen Jungen mit Diabetes zuständig ist. Während meiner Zeit im Praxissemester waren die SuS, aufgrund der Corona Pandemie und den einhergehenden Regelungen, mehrere Monate im Wechselunterricht. Die SuS waren dafür in zwei Lerngruppen A (elf Kinder) und B (zwölf Kinder) eingeteilt, und hatten somit einen Tag Unterricht in der Schule und den nächsten Tag Homeschooling zu Hause, wo sie an einem Arbeitsplan arbeiten mussten. Aufgrund der schwierigen Corona Lage lässt sich die Lernkultur der Klasse, in der Zeit meines Praxissemesters, als eher geschlossen beschreiben. Das Hygienekonzept der Schule schrieb vor, dass alle SuS an Einzeltischen sitzen mussten und Gruppenarbeiten aus Infektionsschutzgründen untersagt waren. Zudem war das Tragen eines Mund-Nasenschutzes für alle SuS sowie LuL vorgegeben. Aufgrund der eingeschränkten Möglichkeiten habe ich in der Zeit des Wechselunterrichts ausschließlich Frontalunterricht der Klassenlehrerin gesehen. Hervorzuheben ist dabei die autoritäre Präsenz der Klassenlehrerin. Bei ihrer Anwesenheit arbeiten die Lerngruppen, während den Arbeitsphasen, ruhig und konzentriert. Für Unterstützung, aber auch für Vertretungssunden, war noch eine Vertretungslehrerin in der Klasse drei eingesetzt. Bei ihr als auch bei mir waren die SuS während des Unterrichts lebhafter und lauter, zum Teil auch unkonzentriert. Durch das hohe Maß an Unterstützung durch zum Zeil fünf Erwachsene in der Klasse (zwei I-Kräfte, Klassenlehrerin, Vertretungslehrerin und Praxissemesterstudentin) konnte optimal auf Lernschwierigkeiten der SuS eingegangen werden. Die SuS der Klasse waren die vielen Erwachsenen von Beginn ihrer Schulzeit an gewöhnt und fühlten sich in der Klasse gut aufgehoben. Sie scheuten sich nicht davor, auch Fragen zu stellen und offen zu kommunizieren, bei welchen Inhalten sie noch Schwierigkeiten hatten und sich so Unterstützung bei einem der Erwachsenen oder bei ihren Mitschüler/innen zu holen. Die Klassenlehrerin legte großen Wert darauf, dass jedes Kind in seinen Möglichkeiten bestmöglich betreut wurde. Eine angepasste und individuelle Beschulung der Kinder durch die Klassenlehrerin, mit individuellen Arbeitsblättern und Materialien, sollte die Leistungsbereitschaft der SuS erhalten und diese weiter fördern. Zum Ende des Praxissemester hatte sich die Corona Lage insoweit wieder etwas entspannt, dass kurz vor den Sommerferien wieder alle SuS in Präsenz zur Schule gehen konnten. Erst zu dem Zeitpunkt fiel mir auf, dass der Klassenraum für 23 SuS sehr klein war. Die Tische standen frontal zur Tafel ausgerichtet. Mein Platz war in der hinteren Ecke des Klassenraums direkt neben einem Waschbecken und vor der Eingangstür an einem kleinen Tisch, da sonst kein Platz in der Klasse mehr frei war. Zudem saßen im hinteren Bereich der Klasse die Vertretungslehrerin sowie die I-Kraft des Jungen mit der Diabetes Erkrankung direkt vor Regalen für die Schulranzen der SuS. Aufgrund der beengten Situation musste man immer aufstehen, wenn die SuS zum Waschbecken oder zu ihren Schulranzen wollten. Von der Klassenlehrerin war es erwünscht, dass alle Erwachsenen sich während der frontalen Phasen im hinteren Bereich der Klasse aufhalten sollten, um die Kinder nicht abzulenken. Während der Arbeitsphasen durften wir dann durch die Klasse gehen und uns als Unterstützung neben einzelne Kinder setzen.

Dichte Beschreibungen

Die Situation

Die Beobachtung wurde am Donnerstag, den 01.06.2021, ab 9:45 Uhr durchgeführt und dauerte bis 10:00 Uhr an. Beobachtet wurde das Peerverhalten der SuS einer dritten Klasse während der Frühstückspause zum Unterricht der dritten Stunde. Bei den beobachteten Personen handelte es sich um die Klasse drei und ihre Klassenlehrerin. Aufgrund der aktuellen Corona Regeln und dem damit einhergehenden Wechselunterricht, befand sich im Klassenraum lediglich die Hälfte der Schülerschaft. Es handelte sich um die Lerngruppe A mit insgesamt elf SuS. In den letzten Wochen hatte die Klassenlehrerin den SuS in der Frühstückspause aufgrund von Corona stets ein Kapitel aus einem Buch vorgelesen, da die SuS, aufgrund des von der Schule vorgegebenen Hygienekonzepts, alleine an Einzeltischen sitzen und sich ohne Maske nicht mit einem in der Nähe sitzenden Kind unterhalten sollten. Vor einer Woche wurde das letzte Kapitel des Buches vorgelesen und die Lehrkraft hat bis dato noch kein neues Buch angefangen. Die Frühstückspausen haben sich also insoweit von einer geordneten Atmosphäre zu einem ziemlichen Chaos verändert. Die Lehrkraft verlässt die Klasse während der Frühstückspause häufig und ich sitze oftmals alleine mit den SuS in der Klasse, da auch die I- Kräfte sich aktuell zum Frühstücken in einen an den Klassenraum benachbarten Besprechungsraum begeben. Während des Frühstücks dürfen die SuS ihren Mund-Nasenschutz abziehen, sich aber nicht ohne Maske im Klassenraum bewegen. Die Kinder sollten also ausschließlich an ihrem Sitzplatz frühstücken. Die SuS dürfen während der Pause jederzeit ihr Frühstück aus ihrem Schulranzen, der sich in einem Regal im hinteren Teil der Klasse befindet, holen oder wieder zurückbringen. Aufgrund von Corona hat die Schule versetzte Pausenzeiten, damit sich nicht alle SuS auf dem Schulhof begegnen. Somit findet die Frühstückspause nun immer nach der Hofpause ab 09:45 Uhr bis 10:00 Uhr statt. Währen der Beobachtung sitze ich an meinem üblichen Platz, an einem Einzeltisch im hinteren Teil der Klasse. Hinter mir befindet sich unmittelbar die Eingangstür und direkt rechts neben mir die Mülleimer sowie das Waschbecken der Klasse.

Beschreibung 1

Es ist 9:45 Uhr und der Schulgong ertönt. Ich packe mein Frühstück zusammen und ziehe meine FFP 2 Maske wieder auf. Auf dem Flur wird es laut. Ich höre Kinderstimmen und Schritte näher kommen. Mit einem Ruck wird die Klassentür aufgerissen. Mit einem lauten „Erster!“ steht Anna2 in der Tür. Sie wirkt außer Atem und etwas erschrocken als sie beim Aufreißen der Klassentür direkt in mein Gesicht blickt. Anna rennt an mir vorbei zu dem Schrank, in dem alle Schulranzen stehen, und holt ihre Brotdose sowie ihre Trinkflasche aus dem Rucksack. Sie schiebt den Rucksack wieder zurück in den Schrank, geht an ihren Platz und packt ihr Frühstück aus. In der Zwischenzeit kommen noch drei weitere Kinder in die Klasse gerannt. Die drei gehen auch an den Schrank mit den Schulranzen und holen ihre Brotdose aus der Tasche, mit der sie sich dann, immer noch rennend, an ihren Tisch setzen. Aus dem Flur höre ich jemanden rufen. Benjamin kommt zusammen mit Nina in die Klasse geschlendert und ruft „Händewaschen!“. Ich muss aufstehen, damit die Kinder an das Waschbecken kommen können. Vor dem Waschbecken und dem Desinfektionsspender neben der Tür bildet sich ein Getümmel. Auch die vier bereits frühstückenden Kinder stehen wieder von ihrem Platz auf und stellen sich vor das Waschbecken oder desinfizieren sich ihre Hände am Desinfektionsspender. Kurz danach erscheint die Klassenlehrerin in der Klassentür. Mit einem Kaffee in der Hand drängt sie sich durch das Getümmel an der Tür und hebt dabei die Kaffeetasse mit beiden Händen über ihren Kopf. Mit großen Schritten geht sie zum Pult, stellt den Kaffee ab, hebt ihre Tasche vom Boden auf, stellt sie auf das Pult und holt ein DIN A 4 Blatt aus ihrer Tasche. Mit großen Schritten verschwindet sie wieder aus der Klasse und ruft, noch während sie geht, „Ich muss nochmal kurz in die Notbetreuung.“ dabei wedelt sie mit dem von ihr zuvor aus der Tasche geholte DIN A 4 Blatt. Ich schaue durch die Klasse und sehe Sonida und Ayla. Ayla sitzt an ihrem Einzeltisch vor Sonida. Die beiden haben ihren Blick jeweils nach vorne zur Tafel ausgerichtet. Ayla dreht sich jedoch alle paar Sekunden zu Sonida um, grinst diese an, zeigt ihr Pausenbrot und beißt herein. Sonida macht dasselbe. Beiden Mädchen reden nicht miteinander, aber zeigen sich vor jedem Biss, was sie als Nächstes essen werden und lachen dabei. In der Klasse ist es laut, einige Kinder reden miteinander. Erst jetzt tauchen plötzlich Pia, Tom und Lukas im Türrahmen der Klassentür auf. Ich schaue auf die Uhr oberhalb der Klassentür, es ist 9:52 Uhr. Ich denke mir, dass die Kinder ganz schön spät sind und frage mich, wo sie noch so lange geblieben sind. Lukas hält einen Fußball unter dem rechten Arm. Die drei haben hochrote Köpfe und ich sehe, wie Tom sich Schweiß von seiner Stirn mit dem Arm an seinem T-Shirt abwischt. Während Lukas den Fußball zurück in die Spielkiste legt, ruft er „Man! Was ein Spiel!“ durch die Klasse. Pia, die am Waschbecken steht, und Tom, der gerade sein Frühstück aus seinem Schulranzen holt, nicken und bejahen die Aussage von Lukas. Ich bemerke, dass die Lautstärke in der Klasse leiser geworden ist und die meisten SuS ihre Köpfe in Richtung der drei drehen. Pia, Lukas und Tom beginnen sich, noch während sie zu ihren Sitzplätzen gehen, über das Fußballspiel in der Pause zu unterhalten. Nach kurzer Zeit ist das Fußballspiel das dominierende Gesprächsthema in der Klasse. Lukas erzählt den Mitschüler/innen von dem Spiel und gestikuliert dabei wild mit den Armen. Er erzählt, dass er die gegnerische Mannschaft „platt“ gemacht habe und dabei vier Tore geschossen habe. Immer wieder treten andere Kinder dem Gespräch mit einem Wortbeitrag bei. Andere Kinder schauen währenddessen sie frühstücken in Richtung der Gruppe, lächeln ab und zu und nicken. Plötzlich ruft Pia: „Lukas, du hast ja noch gar nichts gegessen!“. Lukas wirkt erschrocken, fängt dann an zu lachen und sagt, dass er das ganz vergessen habe. Er steht lachend von seinem Platz auf, zieht seine Maske auf und geht in die Richtung seines Schulranzens. Die Klasse lacht und schaut hinter Lukas her. In dem Moment kommt die Klassenlehrerin zurück in die Klasse. Sie wirkt verwundert, schaut auf ihre Armbanduhr und fragt die Kinder, was denn los sei. Nachdem ihr ein Mädchen aus der ersten Reihe die Situation erklärt hat, schüttelt sie den Kopf und setzt sich an ihr Pult. Anna beginnt als Erste ihr Frühstück einzupacken. Sie zieht ihre Maske auf und bringt ihre Brotdose zurück in ihren Schulranzen. Vereinzelt packen auch andere Kinder ihr Frühstück zusammen und räumen ihren Tisch auf. Sie ziehen ihre Masken auf und gehen in Richtung Schulranzenregal in den hinteren Teil der Klasse. Am Regal bildet sich ein Getümmel. Einige Kinder reden miteinander und andere versuchen, sich an ihnen vorbeizudrücken und an ihre Schulranzen zu kommen. Lachend schlendern Hannah und Pia gemeinsam vom Regal zurück zu ihren Plätzen, indem sie bis zur Mitte des Klassenraums gehen und sich dann zuwinken, als jede in eine andere Richtung abbiegen muss. Um 9:59 Uhr schaut die Lehrerin auf ihre Armbanduhr und bittet die Kinder langsam zum Ende zu kommen. Die meisten Kinde haben ihr Frühstück bereits weggeräumt. Lukas ist der Letzte, der Schulgong ertönt erneut. Lukas beißt noch einmal einen großen Bissen von seinem Brot ab, bevor er es wieder zurück in seine Brotdose legt und ebenfalls sein Frühstück wegpackt.

Die Situation

Die Beobachtung wurde am Dienstag den 15.06.2021, ab 9:50 Uhr durchgeführt und dauerte bis 10:00 Uhr an. Es handelte sich hier wieder um denselben Beobachtungsschwerpunkt wie in der ersten Beschreibung. Bei den beobachteten Personen sind es ebenfalls die Klasse drei und ihre Klassenlehrerin, wobei sich diesmal alle 23 SuS im Klassenraum befanden, da seit dem 07.06.2021 wieder alle SuS der Schule am Präsenzunterricht teilnehmen durften. Der Ablauf der Frühstückspause hat sich seit der letzten Beobachtung nicht verändert. Auch die Hygieneregeln sind gleichgeblieben, Hände waschen oder desinfizieren nach der Pause und die Maskenpflicht besteht weiterhin, allerdings sitzen die SuS nun nicht mehr alleine an Einzeltischen, sondern haben wieder Sitznachbarn. Aufgrund der zu der Zeit sehr niedrigen Inzidenzwerte dürfen die SuS ihre Masken nun auch seit einem Tag auf dem Schulhof abnehmen. Deswegen dürfen sich die SuS jetzt auch, nach ihrem Frühstück und mit Mundschutz, während der Frühstückspause frei in der Klasse bewegen.

Beschreibung 2

Es ist 9:50 und ich sitze an meinem üblichen Platz im hinteren Teil der Klasse. Die meisten Kinder haben ihr Frühstück schon aus ihrem Schulranzen geholt. Ich habe meinen Stuhl ein Stück zur Seite gerückt, da noch fünf Kinder neben mir vor dem kleinen Waschbecken stehen, Hände waschen und sich dabei unterhalten. An den Schulranzenregalen stehen ebenfalls noch Kinder und unterhalten sich, während sie ihre Brotdose sowie ihre Trinkflasche aus dem Schulranzen kramen. Es ist laut in der Klasse. Die meisten SuS sitzen neben ihrem Sitznachbarn und unterhalten sich oder frühstücken und schauen dabei in der Klasse herum. Pia, die neben mir am Waschbecken steht, schaut, während sie sich die Hände wäscht, in Richtung Klasse. Sie zieht ihre Hände aus dem Wasserstrahl des Wasserhahns zurück, trocknet diese an ihrem T- Shirt ab und läuft währenddessen in Richtung Schulranzenregal. Dabei ruft sie laut „Ich habe Pop its3 dabei!“. Sie zieht ihren Schulranzen aus dem Regal, stellt ihn auf den Boden und kramt daraus ihre Brotdose, Trinkflasche und sechs bunte Förmchen. Vollbepackt läuft sie in Richtung ihres Sitzplatzes. Mia, die neben Pia sitzt, hat ihren Blick zu Pia gewandt und hüpft, mit ihrem Po, auf ihrem Stuhl auf und ab und klatscht dabei in ihre Hände, während Pia in Richtung ihres Sitzplatzes geht. Pia lässt ihr „Gepäck“ auf ihren Tisch fallen, zieht ihre Maske aus und ruft laut „Wer will eins?“ in die Klasse wobei sie in jeder Hand ein Förmchen hält, Pop its sind ein Jugendkulturelles Fidget Spielzeig, das in den letzten Monaten aufgekommen ist und schnell an Beliebtheit gewonnen hat. Pop its sind bunte Formen aus Silikon, die viele runde, daumengroße Noppen haben. Diese Noppen können nach innen gedrückt werden. Ähnlich des vor einigen Jahren populären Fidget Spinners, sollen Pop its dem Abbau von Stress oder innerer Unruhe dienen (vgl. Grüneberg, 2021).

mit dem sie hin und her wedelt. Verschiedene Kinder aus der Klasse reagieren auf Pias Frage mit einem „Ich, ich, ich!“ und heben eine Hand. Mehmet und Tom springen von ihren Plätzen auf und laufen zu Pia, dabei haben sie keinen Mund-Nasenschutz auf und werden von einigen Kindern direkt ermahnt, indem diese „MASKE!“ rufen. Mehmet und Tom schauen sich gegenseitig mit weit aufgerissenen Augen an, sie wirken erschrocken, dann fangen sie an zu lachen, halten sich eine Hand vor den Mund und rennen wieder in Richtung ihrer Sitzplätze. An Pias Tisch hat sich in der Zwischenzeit ein Getümmel gebildet. Acht Kinder stehen um ihren Tisch herum und fragen, ob sie ein Pop It haben dürfen. Pia verteilt die Pop its an ihre Mitschüler/innen und behält eins für sich und gibt das andere Mia, ihrer Sitznachbarin. Die Kinder laufen mit dem Spielzeug zurück an ihren Platz und fangen sofort an, die kleinen Noppen der Pop its zu drücken. In der ganzen Zeit frage ich mich, was das für ein Spielzeug ist und wende mich an Yasmin, die vor mir sitzt. Auch sie hat ein Pop It von Pia ergattert und drückt mit der rechten Hand die Noppen des Förmchens nach unten und hält mit der anderen Hand einen Apfel. Ich frage sie, was das sei und sie erklärt mir, was man mit dem Pop It machen könne. Dabei gibt sie mir ihres in die Hand und lässt mich das Spielzeug auch einmal ausprobieren. Ich bemerke, dass das Förmchen ganz weich ist, es fühlt sich an wie eine Silikonform zum Backen. Einige Kinder in der Umgebung haben meine Frage an Yasmina anscheinend auch gehört, oder meinen fragenden Blick gesehen, denn sie stehen von ihrem Plätzen auf und kommen zu Yasmins Tisch oder drehen ihre Stühle zu diesem um und steigen direkt in das Gespräch mit ein. Ich frage die Kinder, wofür man das Spielzeug braucht. Daraufhin beginnt in der Gruppe eine Diskussion über die Sinnhaftigkeit der Pop Its, bei der sich immer mehr Schüler/innen mit Wortbeiträgen beteiligen. Nach kürzester Zeit sind die Pop Its das Hauptgesprächsthema innerhalb der Klasse, da sich nun mehrere Gruppen von vier bis sechs Kindern im Raum verteilt gebildet haben und ich hören kann, wie sie darüber sprechen. Im vorderen Teil der Klasse stehen einige Kinder um den Tisch von Elodie und Sascha herum. Es scheint so als würden die beiden miteinander spielen und ich höre, wie die um den Tisch herum stehenden Kinder rhythmisch ihre Namen rufen. Elena, die in einer Gruppe mit Linn, Mila, Pia und Yasmin vor mir steht, sagt, dass die Pop Its „voll cool“ sind und dass sie auch welche zu Hause habe, daraufhin sagt Tom, der in einer Jungsgruppe mit Anton, Emre und Mehmet neben den Mädchen steht, dass er mindestens zehn Stück zu Hause habe. Die nächsten Minuten beginnt zwischen den beiden Gruppen eine weiter Diskussion, wer die meisten Pop its zu Hause habe. Tom schlägt vor, das Ganze mit einem Spiel Mädchen gegen Jungs zu entscheiden. Elena dreht sich zu ihrer Gruppe um, die Mädchen nicken und Elena bejaht das Duell. Die SuS fragen mich ,ob ich Schiedsrichterin sein könne und setzen sich vor mich an Yasmins Tisch. Als Erstes setzen sich Elena und Tom nebeneinander, beide haben ein Pop It vor sich liegen. Auf „Los“ versuchen sie so schnell wie es geht, alle Noppen ihres Pop Its runterzudrücken. Tom ruft als Erster „Fertig!“ und streckt beide Arme in die Luft. Emre haut Tom darauf auf die Schulter und sagt, dads die Jungs besser seien als die Mädchen. Das Ganze wird von der Mädchengruppe mit einem „Gaar nicht!“ kommentiert wobei alle lachen. Tom und Elena stehen von ihren Plätzen auf. Linn und Emre setzen sich dafür auf ihre Plätze und ein weiteres Spiel beginnt. Ich gebe meinen Schiedsrichterposten an Elena ab. Ich widme mich wieder meinen Beobachtungen und versuche, mich im Gewusel der Klasse auf einzelne Kinder zu konzentrieren. Mir fällt Gizem auf. Sie sitzt alleine an ihrem Platz, hat ein Mandala vor sich liegen und malt dieses, während sie ab und zu in ihr Brot beißt, aus. Als Anna, ihre Sitznachbarin, aus einer der Diskussionsgruppen wieder an ihren Platz geht, schaut Gizem nur kurz auf, lächelt und widmet sich dann wieder dem Ausmalen des Bildes. Anna setzt sich neben Gizem, zieht ihre Maske aus und fängt an, mit einem der Pop Its zu spielen. Es ist 09:57, die Klassenlehrerin kommt mit einem Kaffee in der Hand durch die weit offenstehende Eingangstür der Klasse. Sie bleibt vor einer, mit den Pop Its spielenden Gruppen stehen, schaut den Kindern einige Sekunden beim Spielen zu und geht dann durch die Klasse in Richtung ihres Pults. Währenddessen erinnert sie die SuS, dass sie nicht nur spielen, sondern bitte auch frühstücken sollen. Am Pult angekommen zieht sie ihre FFP2 Maske aus legt sie auf den Tisch, lehnt sich in ihrem Stuhl zurück, überschlägt die Beine und beginnt von ihrem Kaffee zu trinken, während sie ihren Blick durch die Klasse wandern lässt. Um 09:58 erinnert die Klassenlehrerin die SuS langsam zum Ende zu kommen und ihr Frühstück zurück in ihren Schulranzen zu räumen. In der Klasse wird es wieder unruhig. Die Spielgruppen lösen sich langsam auf. Überall laufen Kinder umher und setzen sich wieder auf ihre Sitzplätze oder räumen ihr Frühstück in ihren Schulranzen am Schulranzenregal. Dabei höre ich, wie die Kinder miteinander sprechen, kann aber, aufgrund der Lautstärke innerhalb der Klasse, kein konkretes Gespräch mehr raushören. Pia steht von ihrem Platz auf, zieht ihre Maske auf, klemmt ihre Trinkflasche unter ihren linken Arm, nimmt ihre Brotdose in eine Hand und beginnt mit der anderen ihr und Mias Pop It auf ihrer Brotdose zu stapeln. So bepackt läuft sie durch die Klasse und sammelt ihre an ihre Mitschüler/innen verteilten Pop Its ein und bringt diese sowie ihr Frühstück zurück in ihre Schultasche. Als der Pausengong ertönt, rennen alle Kinder, die noch nicht auf ihren Plätzen sitzen, zurück zu ihren Tischen und es kehrt langsam Ruhe ins Klassenzimmer ein.

Analytische Dimensionierung

Der Übersicht halber beziehe ich mich in den folgenden analytischen Dimensionierungen auf die folgenden vier Beobachtungsschwerpunkte: soziale Räume, kindliche Selbstdarstellung, Spielkultur und Geschlecht. Diese sind mir bei der Analyse der dichten Beschreibungen besonders aufgefallen, da sie eine besondere Bedeutung bei der Interaktion von Peers einnehmen. Die Auswahl der eben genannten Kategorien schließt natürlich andere wichtige Punkte nicht aus, die allerdings in dieser Arbeit nicht weiter oder nur bedingt analysiert werden.

Zur 1.Beschreibung – Soziale Räume und kindliche Selbstdarstellung

Der Schulgong ertönt und läutet somit als akustisches Signal einen Szenenwechsel ein und kündigt den Beginn der Frühstückspause an. Die SuS der dritten und vierten Klassen stürmen vom Schulhof zurück in das Schulgebäude und in ihre Klassen. Das ruckartige Aufreißen der Schultür durch Anna und ihre Aussage „Erster!“ zu sein macht den Anschein eines Wettkampfs. Möglicherweise eines Wettkampfes, der zwischen den Peers auf dem Flur ausgetragen wurden. Dabei gehört das sich gegenseitige Herausfordern der Peers untereinander zu typischen peerkulturellen Handlungen, die sich im Laufe meiner Analyse noch das ein oder andere Mal wiederfinden. Annas direkter Gang zu ihrem Schulranzen, um ihre Brotdose und ihre Trinkfalsche herauszuholen, lasst sich als eine ritualisierte Handlung deuten, aus der sich schließen lasst, dass Anna genau weiß, welche Phase des Schultages nun erreicht ist und dass in dieser Phase gefrühstückt wird. Ihre Mitschüler/innen tun es ihr in den nächsten Minuten gleich, auch ihnen ist der Phasenwechsel dem Anschein nach bewusst. Das Geschehen in der nächsten Szene weckt meine Aufmerksamkeit. Benjamin kommt in die Klasse geschlendert und erinnert seine Mitschüler/innen lautstark an das Händewaschen. Dabei schlüpft Benjamin in die Rolle der Klassenlehrerin, die diese Handlung in den letzten Wochen auch das ein oder andere Mal getan hat, und weist seine Peers auf bestehende Regeln hin. Seine Ermahnung bewirkt, dass seine Peers tatsächlich auf ihn hören, aufstehen und zum Waschbecken oder zum Desinfektionsspender gehen. Möglicherweise, weil sie wissen, dass es diese Regel gibt und wissen, dass sie wichtig ist. Man könnte aber auch vermuten, dass Benjamin hier eine Art Anführerrolle einnimmt und die Peers alleine deswegen auf ihn hören. Kurz danach erscheint die Klassenlehrerin in der Tür. Ihr daraufhin wieder schnelles Verlassen der Klasse bewirkt, dass der Klassenraum plötzlich zur Hinterbühne wird, in der die Peerkultur Überhand gewinnt und Zeit hat, sich zu entfalten (vgl. Wagner-Willi, 2018, S. 58). Die darauffolgenden Szenen sind durch das Entstehen von sozialen Räumen unterhalb der Peers, innerhalb des Klassenraums, geprägt. Als Erstes fällt mir das Verhalten der beiden Mädchen Sonida und Ayla auf. Die beiden Mädchen sitzen voreinander an ihren Einzeltischen. Dabei dreht Ayla sich immer wieder zu Sonida um und zeigt ihr bei jedem Bissen, was sie als nächstes essen werde. Die beiden Mädchen kommunizieren dabei ausschließlich nonverbal miteinander. Sie bilden ihren eigenen sozialen Raum innerhalb der Peerkultur der Klasse, der sich als eine Art Fernraum beschreiben lässt (vgl. Bennewitz und Meier, 2010, S. 104). Dass Ayla ihren Stuhl nicht einfach zu Sonida umdreht und mit ihr so in Kontakt tritt, könnte an den Hygieneregeln der Klasse liegen. Das Eintreten Pias, Toms und Lukas in die Klasse lässt einen ganz neuen sozialen Ort entstehen. Und zwar den der Bühne. Offensichtlich kommen die drei gerade von einem anstrengenden Fußballspiel auf dem Pausenhof, zurück. Vermuten lässt sich dies durch ihren mit sich geführten Fußball und ihren hochroten Köpfen. Lukas eröffnet seine „Show“, indem er mit seinem Satz „Man! Was ein Spiel!“ seine Peers auf ein vermutlich spannendes Erlebnis in der Pause aufmerksam macht. Er schafft es so, die Aufmerksamkeit seiner Peers auf sich und sein Erlebnis zu richten. Viele der Peers richten ihren Blick zu Lukas und erzeugen somit eine Bühne, die Lukas nutzt, um seine Geschichte zu erzählen (vgl. ebd.). Die Bühne und das Publikum bedingen sich hier also wechselseitig, da nur durch die Aufmerksamkeit des Publikums die Bühne entstehen kann (vgl. ebd., S. 103). Lukas und seine Geschichte werden für seine Peers zur Vorderbühne und zum dominierenden Gesprächsthema. Dabei steht die soziale Identität des Peers Lukas, noch lange nach der Hofpause im Vordergrund. Er nutzt die Möglichkeit, seine Pausenaktivität zu verarbeiten, in dem er seine Erlebnisse mit seinen Peers teilt. Es ist auch möglich, dass Lukas durch seine Erzählung und seine Aussage, die gegnerische Mannschaft „platt“ gemacht zu haben, nach sozialer Anerkennung durch seine Peers sucht. Thiel beschreibt dies als ein typisches Peerverhalten und von zentraler Bedeutung für die Identitätsentwicklung der Kinder (vgl. Thiel, 2016, S. 49). Lukas Bühne verschwindet wieder als Pia anmerkt, dass er noch gar nichts gegessen habe und die Klassenlehrerin die Klasse betritt. Somit beendet das Einmischen des Publikums Lukas Bühnenaufführung (vgl. Bennewitz und Meier, 2010, S. 104). Die Peers wechseln wieder zurück aus ihrer Rolle als Publikum und wenden ihre Aufmerksamkeit auf andere Dinge. Das Eintreten der Klassenlehrerin in die Klasse, deutet auf ein baldiges Ende der Frühstückspause hin. Die ersten SuS beginnen schon, ihr Frühstück wegzupacken, ob dies nun geschieht, da die Klassenlehrerin die Klasse betreten hat oder weil die Kinder satt sind und fertig gefrühstückt haben, lässt sich in diesem Zusammenhang nicht eindeutig erklären. Durch das Wegräumen des Frühstücks und das daraus folgende Umherlaufen der SuS durch die Klasse, kommt es vor dem Schulranzenregal zu einem Getümmel und zu einem deutlichen Anstieg der Lautstärke in der Klasse. Hier lässt sich erneut die Entstehung von sozialen Orten innerhalb der Peerkultur erkennen. Durch den Standortwechsel begegnen sich nun auch Peers, die in der Klasse nicht unmittelbar nebeneinandersitzen. Der Anstieg der Lautstärke lässt vermuten, dass sich hier der flüchtige soziale Räum der Begegnung ergibt, in dem die SuS den Standortwechsel verwenden, um Kommunikationsgelegenheiten mit Peers zu nutzen und mit diesen in Kontakt zu treten (vgl. Bennewitz und Meier, 2010, S. 105). Zu sehen ist dieser soziale Ort vor allem an den beiden Mädchen Hannah und Pia, die sich am Schulranzenregal begegnen und daraufhin gemeinsam zurück zu ihren Plätzen laufen, sich aber in der Mitten des Klassenraums trennen, um zu ihren Sitzplätzen zu gehen. Dabei winken sich die beiden Mädchen so lange zu, bis sie auf ihren Plätzen sitzen, was zudem wieder auf einen Fernraum als sozialer Ort mit seiner nonverbalen Kommunikation hinweist (vgl. ebd.). Die Beobachtung endet mit dem Ertönen des Schulgongs.

Zur 2. Beschreibung – Spielkultur und Geschlecht

Die dichte Beschreibung beginnt mit Beobachtungen am Waschbecken und am Schulranzenregal, an denen noch SuS stehen und sich unterhalten, während sie Hände waschen oder ihr Frühstück auspacken. Anknüpfend an die erste Beschreibung lässt sich auch hier wieder der flüchtige soziale Ort Begegnung erkennen (vgl. Bennewitz und Meier, 2010, S. 105). Die Kinder nutzen den kurzen Moment der Begegnung, um mit ihren Mitschüler/innen Kontakt aufzunehmen. Die darauffolgende Szene weist eine ganz neue Analysekategorie auf, die sich in der ersten Beschreibung nicht beobachten ließ und zwar die der Spielkultur der Peers. Pia läuft nach dem Händewasche zu ihrem Schulranzen und holt mehrere Pop Its aus ihrer Tasche. Dies verkündet sie der Klasse unverzüglich und lautstark. Da kein Kind fragt, was das sei, lässt sich vermuten, dass das Spielzeug Pop It bereits Teil ihrer Peerkultur ist und aufgrund dessen alle Kinder mit dem Spielzeug vertraut sind. Hier lässt sich eine Verschmelzung der konjunktiven Erfahrungswelt der Peers mit der der Schule erkennen. Die Spielzeit innerhalb der Schulzeit ist begrenzt. Dabei gibt die Frühstückspause ein Zeitkontingent von 15 Minuten vor, das die Kinde zum Spielen und zum Frühstücken nutzen dürfen. Die schnellen Bewegungen Pias, ihr Rennen und ihr hektisches Kramen im Schulranzen lässt vermuten, dass sie diese ihr zur Verfügung stehende „Spielzeit“, optimal nutzen möchte und dabei keine Zeit verschwenden will. Das Verteilen der Pop Its an ihre Mitschüler/innen kann hier auch wieder als Wunsch nach sozialer Anerkennung gedeutet werden, wie es in der ersten Beschreibung bei Lukas der Fall war sowie als eine Form des sozialen Austauschs. Während Pia die Pop Its verteilt, laufen Mehmet und Tom ohne Maske durch die Klasse. Dabei werden sie von ihren Peers direkt ermahnt. Trotz Pause gelten hier also, wie auch schon in der ersten Beobachtung beschrieben, Regeln. die anscheinend von allen SuS akzeptiert werden, denn die beiden holen ihre Maske unverzüglich nach der Ermahnung von ihren Plätzen. Als ich Yasmin frage, was das für ein Spielzeug sei und wofür man dies brauche erklärt sie mir das Ganze ausführlich. Sie lässt mich für kurze Zeit ein Teil ihrer Peerwelt sein, gibt mir das Pop It in die Hand und lässt mich auch einmal damit spielen. Dabei erklärt sie mir die Funktion und Sinnhaftigkeit. In der Zwischenzeit bilden sich verschiedene Gruppen, wobei eine Gruppe im vorderen Teil der Klasse auffällt. Einige Kinder stehen um den Tisch von Elodie und Sascha herum. Die beiden haben angefangen, miteinander und mit zwei Pop Its von Pia zu spielen und werden von ihren Zuschauern angefeuert. Für das Spiel von Elodie und Sascha braucht es dem Anschein nach also nur zwei Mitspieler/innen. Ihr Tisch ist dabei zum Spielfeld geworden. Innerhalb der Spielgemeinschaft haben sich zwei Gruppen gebildet. zum einen die der Spieler und zum anderen die der Zuschauer. Die Zuschauer bilden dabei den Rahmen des spezifischen und unwiederholbaren Ereignisses und werden auf diese Weise zu einem Teil der Spielgemeinschaft (vgl. Tervooren, 2001, S. 234). Ein ähnliches Verhalten des „miteinander Spielens“ zeigt sich auch in der darauffolgenden Szene. Elena und Tom unterhalten sich darüber, wer mehr Pop Its zu Hause habe. Dabei wird die Diskussion durch Tom, mit seinem Vorschlag, das Ganze in einem Duell auszutragen, in ein Spiel überführt. Hier gilt es anzumerken, dass der Ausgang dieses Spiels keine Antwort auf diese Frage bietet. Möglicherweise nutzt Tom den Vorschlag nur als Vorwand, um endlich mit dem Spielen anzufangen und damit die Diskussion zu beenden. Dabei organisiert das Spiel eine Entscheidung mithilfe eines Wettkampfes (vgl. ebd., S.228). Bei der Szene kommt aber noch eine andere Kategorie, die bis jetzt noch nicht berücksichtigt wurde, zum Tragen. Die Kategorie des Geschlechts. Zum einen ist erkennbar, dass Tom und Elena in geschlechterhomogenen Gruppen beieinander stehen, die zunächst in keiner Interaktion zueinander stehen. Die Gruppen unterhalten sich zunächst in ihrer eigenen Kleinwelt, deren Kommunikation ausschließlich auf die Teilnehmer dieser Gruppe begrenzt ist (vgl. Bennewitz und Meier, 2010, S. 105). Eine Erklärung für die geschlechterhomogenen Gruppen könnte Freundschaft sein. Diese Vermutung ergibt sich durch andere Beschreibungen außerhalb dieser Arbeit und basiert darauf, dass sowohl die genannten Mädchen als auch die genannten Jungen oft die Pause miteinander verbringen und miteinander spielen. Zudem scheint Geschlecht eine Art interessengeleitete Gruppe zu sein. Wobei an den Pop Its beide Geschlechter gleich viel Interesse zeigen. Der Kontakt zwischen den beiden Geschlechtergruppen wird erst durch Toms Einmischen in Elenas und mein Gespräch hergestellt, als er behauptet, mehr Pop Its zu Hause zu haben als Elena. Diese Bemerkung könnte man als eine Art Prahlen vor den eigenen Peers interpretieren, ob diese eventuell nur geschieht, um der Mädchengruppe zu imponieren, lässt sich an dieser Stelle nicht sagen. Tom schlägt ein Duell Jungen gegen Mädchen vor. Dieses Duell beinhaltet eine Konkurrenz der beiden Geschlechter. Das plötzliche Beziehen Toms auf das Geschlecht zwingt die Kinder automatisch, sich an Geschlechternormen zu orientieren (vgl. Tervooren, 2001, S. 243). Nach dem Beschluss, das Duell durchzuführen, schlägt Tom mich als Schiedsrichterin vor. Möglicherweise, weil er der gegnerischen Gruppe nicht vertraut oder einfach nur, weil ein/ein Schiedsrichter/in zu einem „richtigen“ Spiel dazugehört. Der erste Wettkampf wird zwischen Tom und Elena ausgerichtet. Toms Sieg kommentiert Emre. Die Aussage Emres impliziert, dass Jungs in allen Sachen besser seien als Mädchen, allerdings lässt sich vermuten, dass Emre die Aussage ausschließlich im Kontext des Spiels gewählt habe und diese nicht als allgemeingültig verstanden werden muss. Dennoch lässt er mit seinen Worten eine Hierarchie zwischen den beiden Geschlechtern entstehen. Es scheint aber, als sei das der Mädchengruppe egal, denn sie reagieren nicht wütend auf die Aussage. Ganz im Gegenteil, sie lachen die ganze Zeit und verteidigen sich ausschließlich verbal. Auch fahren sie danach gleich mit einem Platzwechsel und somit mit dem Spiel fort. Nach Elena und Tom sind Linn und Emre an der Reihe. Sie werden so vom Zuschauer zum Mitspieler. Durch das Spiel bildet sich eine temporäre geschlechterheterogene Gemeinschaft zwischen den beiden Gruppen (vgl. ebd., S. 230). Das Verhalten von Gizem habt sich von dem Verhalten ihrer Peers ab. Sie hat weder die Rolle einer Zuschauerin noch die einer Mitspielerin eingenommen. Sie sitzt alleine an einem Doppeltisch und malt ein Mandala aus. Hier lässt sich noch ein weiterer sozialer Raum erkennen, der in der ersten Beschreibung nicht beobachtet werden konnte. Der soziale Ort der„Für-Sich-Welt“ (vgl. Bennewitz und Meier, 2010, S. 102). Gizem weist keine Interaktion mit ihren Peers auf und es scheint, als würde sie das auch nicht anstreben. Als Anna sich neben Gizem setzt, lächelt sie diese nur kurz an und widmet sich dann wieder ihrer eigenen Welt, dem Mandala. Es scheint, als sei Gizem kein Teil der Peerkultur innerhalb der Klassengemeinschaft. Es lässt sich nicht erkennen, warum das so sein sollte. Beobachtungen außerhalb dieser Arbeit haben allerdings gezeigt, das Gizem sehr wohl einen Platz innerhalb der Klassengemeinschaft hat, sich aber oft sehr ruhig und zurückhaltend verhält. Sie wirkt jedoch dennoch sehr zufrieden und glücklich. Ob sie sich nun in der von mir beobachteten Szene aus der Peergemeinschaft zurückzieht, weil sie vielleicht einen Streit mit ihren Freunden hatte oder einfach nur, weil sie die Pause zum Frühstücken nutzen möchte, lässt sich nicht sagen. Als die Klassenlehrerin kurz vorm Ende der Stunde in die Klasse kommt, schenken die meisten SuS ihr keine Aufmerksamkeit. Nur wenige Kinder der Spielgruppen schauen kurz auf und fahren danach direkt wieder unbeirrt fort. Es scheint so, als seien die meisten SuS in ihre besondere Welt des Spiels versunken, und als würden sie das Geschehen um sie herum kaum mehr wahrnehmen. Trotz dem Eintreten der Klassenlehrerin halten die Peers die Vorderbühne aufrecht und der institutionelle Kontext wird durch sie in der Zwischenzeit ausgeblendet. Es lässt vermuten, dass sie sich in einer Art Spielrausch befinden, der sie alles um sich herum vergessen lässt (vgl. Tervooren, 2001, S. 247). Dieser Spielrausch hält noch so lange an, bis die Klassenlehrerin die SuS daran erinnert, langsam zum Ende der Frühstückspause zu kommen. Gefrühstückt hat in dieser Pause kaum jemand, die meisten Brotdosen sind noch gefüllt, als die SuS diese wieder zurück in ihre Schulranzen räumen. Pia läuft durch die Klasse und sammelt ihre Pop Its wieder ein. Ihre Mitschüler/innen geben ihr diese unaufgefordert zurück. Was zeigt, dass die SuS sehr wahrscheinlich wissen, dass die Pop Its Eigentum von Pia sind. Mit dem Pausengong und dem Wegpacken der letzten Spielzeuge beginnt die Klassenlehrerin den Unterricht.

6. Fazit

In meiner Arbeit lassen sich viele peerkulturellen Handlungen beobachten. Ich habe mit meinen Beobachtungen versucht, einen groben Überblick über das Feld Peerkultur in der Schule zu schaffen. Während meiner Analysen haben sich mit der Zeit vier spezifische Analysekategorien, soziale Räume, kindliche Selbstdarstellung, Spielkultur und Geschlecht, entwickelt. Diese habe ich in meiner Aufgabe als Ethnographin aus den Beobachtungen ausgewählt. Die Auswahl schließen selbstverständlich andere Analysekategorien nicht aus, diese bleiben allerdings erst einmal nur durch meinen individuellen Blick auf das Feld unberücksichtigt. In der Analyse zur ersten Beobachtung stachen vor allem die sozialen Räume und die kindliche Selbstdarstellung durch die Szene mit Lukas heraus. Innerhalb meiner Beobachtungen ließen sich verschiedene Typen von sozialen Räumen erkennen. Angelehnt an die sieben von Bennewitz und Meier vorgeschlagenen sozialen Orte Für-Sich-Welt, Nahraum, Kleinwelt, Bühne, Publikum, Begegnungen und Fernraum, konnte ich in meinen Beobachtungen fünf eindeutig identifizieren (vgl. Bennewitz und Meier, 2010, S. 105). Das Soziale Miteinander innerhalb der Klasse ist geprägt durch Begegnung und dem Rückzug der handelnden Peers also einer Herstellung von Nähe und Distanz zwischen den Mitschüler/innen. Dabei entstehen innerhalb der Frühstückspause, durch Interaktionen der Peers untereinander, stets soziale Orte. In meiner Arbeit ließen sich dabei die folgenden fünf sozialen Orte, Für- Sich-Welt, Bühne, Publikum, Begegnungen und Fernraum, eindeutig erkennen. In der ersten Beobachtung ließ sich zudem noch das typische Peerverhalten der kindlichen Selbstdarstellung erkennen. In der Szene sucht Lukas vermutlich nach sozialer Anerkennung bei seinen Peers, in dem er von seiner bedeutenden Rolle im Fußballspiel in der Pause berichtet. In der zweiten Beschreibung ließ sich vor allem die Spielkultur der Peers und dabei ihr Umgang mit dem andern Geschlecht beobachten. Es war gut zu erkenne, dass die Frühstückspause nicht nur zum Frühstücken, sondern gleichermaßen auch zum Spielen und zum Austausch unter den Peers genutzt wurde. Die Frühstückspause gibt den SuS Zeit zum frühstücken und sich von den ersten beiden Unterrichtsstunden zu erholen. Sie ermöglicht es den SuS aber auch, sich ein Stück weit alleine mit den eigenen Vorlieben zu beschäftigen. Dabei gibt das Spielzeug Pop It einen kleinen Einblick in eine Kinderkultur und zeigt, dass sich diese Kultur noch einmal stark von der eines Erwachsenen unterscheidet. Durch den konjunktiven Erfahrungsraum der Peers schafft das Spielzeug Pop It eine Gemeinsamkeit innerhalb der Klassengemeinschaft und sorgt dafür, dass sich temporäre Spielgemeinschaften bilden, in denen sich sogar geschlechterhomogene Gruppen auflösten und das Spielen mit dem andern Geschlecht akzeptiert wird. Alles in allem lässt sich in meinen Beobachtungen erkennen, dass Schule als Institution nicht nur aus Unterricht, sondern gleichermaßen aus Aktionen zwischen den Kindern besteht. Innerhalb des Klassenverbands kommen die SuS mit Peers in Kontakt, tauschen sich aus und halten ihre Peerkultur aufrecht. Innerhalb der Frühstückspause ereignet sich die alltägliche, schulische Kinder- und Jugendkultur. Sie tauschen sich über peerkulturelle Ereignisse aus und lassen die Institution Schule, durch peerkulturelle Interaktionen, in den Hintergrund rücken. Im weiteren Verlauf der Forschung wäre es interessant, zu untersuchen, wie peerkulturelle Handlungen im Unterricht ablaufen und wie diese den Unterricht beeinflussen. Dafür wäre eine Verschiebung der Beobachtung von der Pause in den Unterricht notwendig.

Literaturverzeichnis

  • Bennewitz, H. & Meier, M. (2010). Zum Verhältnis von Jugend und Schule. Ethnographische Studie zur Peerkultur und Unterricht. In A. Brake & H. Bremer (Hrsg.), Alltagswelt Schule. Die soziale Herstellung schulischer Wirklichkeiten (S.97-110). Weinheim und München. Juventus Verlag.
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