Spannungsfeld Peerkultur und Schule – Eine ethnografische Beobachtung zum Übergang zwischen Pause und Unterricht (Anonym)

Diese Arbeit ist aus Gründen des Datenschutzes anonym veröffentlicht.

Inhalt

Einleitung

Folgende ethnografische Forschung beschäftigt sich mit der Thematik des Übergangs zwischen Pause und Unterricht. Die dafür genutzte Beobachtung stammt aus meinem Praxissemester in einer jahrgangsgemischten Grundschule. Diese arbeitet mit einem offenen Lernkonzept, welches an Maria Montessori angelehnt ist. Einige schulspezifische Besonderheiten sind demnach auch für die Rahmung folgender Ergebnisse entscheidend. Zum einen befindet sich zwischen der Hofpause und dem Unterricht noch eine Art Zwischenpause, die das Frühstücken der Schüler[1] im Klassenraum ermöglich soll. Diese ist durch die Lehrperson beaufsichtigt und die Nachbarklasse steht hier ebenfalls als Aufenthaltsort zur Verfügung. Zum anderen findet der Unterrichtsbeginn immer in einem feststehenden Sitzkreis statt, welcher als ritueller Treffpunkt gesehen werden kann.

Der Übergang zwischen Pause und Unterricht wird als „Schwellenphase“ oder auch „liminale Phase“ bezeichnet und ist gekennzeichnet durch ein hohes Aufkommen an Aktivitäten, Intensität und spontanen Handlungen. Diese Übergangsphase ist weder durch die Regeln des Unterrichts noch die der Peers bestimmt und wird daher oft als eine Art Durcheinander erlebt (vgl. Wagner-Willi 2018, S. 58, 63). Dieses „Spannungsfeld“ (Gröhlich & Wagner-Willi 2001, S. 123) bzw. die unterschiedlichen Ordnungen veranschaulicht Wagner-Willi (vgl. 2018, S. 58, 63) durch den Gebrauch der Theatermetaphorik, in der sie die Bühne, auf der das schulische Handeln aufgeführt wird, in eine Vorder- und Hinterbühne aufteilt. Während die Vorderbühne den Unterricht zeigt, wird die Hinterbühne genutzt, um die Entfaltung der Subkulturen sowie Einstimmungen und Verarbeitungen des nächsten Unterrichtsgeschehens anzubahnen Es bedarf daher Ritualen, um der kulturellen Rahmung von Unterricht in der Rolle des Schülers gerecht zu werden und die Schwellenphase zu beenden (vgl. ebd. S. 59). Diese Rituale sind durch einen konjunktiven und kommunikativ-generalisierten Sinnzusammenhang strukturiert, wobei die Akteure zueinander ein rollenförmiges Verständnis aufweisen. Akteure verfügen über unterschiedliche konjunktive Erfahrungsräume, beispielsweise durch ihr Geschlecht, ihre Kultur oder Herkunft. Diese werden in der Pause häufig durch Peerkulturen, die über gleiche konjunktive Erfahrungsräume verfügen und sich abgrenzend zu anderen Erfahrungsräumen zeigen, erkennbar. Der Unterricht zeigt eine Differenz zwischen den Sinnzusammenhängen der Pause auf (vgl. Wagner-Willi 2005, S. 284), die sichtbar in zeitlichen, räumlich-materiellen und sozialen Strukturen werden (vgl. ebd.; Gröhlich & Wagner-Willi 2001, S. 122). Diese Rituale dienen der Herstellung einer angenehmen Arbeitsatmosphäre und einer aktiven Teilnahmebereitschaft am Unterricht (vgl. Rabenstein & Reh 2010, S. 73). Vor allem der Übergang von der Pause zum Unterricht zeigt einen maximalen Kontrast (vgl. Wagner-Willi 2005, S. 283).

Dichte Beschreibung und Analytische Dimensionierung

Die Schüler befinden sich verteilt in ihrer Klasse. Viele sitzen in kleinen Gruppen, circa 3-4 Personen an Gruppentischen oder im Sitzkreis. Eine Jungengruppe steht am Eingangsbereich bei den Schultaschen. Die Lehrerin steht nahe der Tafel an einem Hochtisch und schreibt mit fokussiertem Blick in ein Heft. Es herrscht eine kommunikative angeregte aber dennoch angenehme Stimmung. Die meisten Kinder sind damit beschäftigt miteinander zu reden, Karten auszutauschen oder etwas von ihrem vor ihnen liegenden Frühstück zu trinken oder zu essen. Durch die Gespräche befindet sich ein relativ hoher Lärmpegel in der Klasse. Die Verbindungstür zur Nebenklasse sowie die Tür zum Flur steht weit geöffnet.

Die folgende Situation beschreibt den Übergang zwischen Frühstückspause, die nach der Hofpause stattfindet und dem Unterricht. Die Pause wird durch die Klassenlehrerin beaufsichtigt, wobei sie angeregt in etwas vertieft ist und in keiner Interaktion mit Schülern steht. Die meisten Kinder haben bereits eine unterrichtstaugliche Sitzhaltung eingenommen, ein paar andere befinden sich stehend im Raum. Zudem befinden sich Kinder im Sitzkreis, diese haben bereits den richtigen Sitzplatz für das kommende Unterrichtsgeschehen eingenommen, da dieser immer rituell am Anfang der Stunde genutzt wird. In der Klasse befinden sich verschiedene Requisiten, zum einen Frühstückspausendinge, wie Butterbrotdosen und Trinkflaschen und zum anderen Spielkarten, die ebenfalls in der Hofpause genutzt werden können und nicht primär für das Frühstück stehen. Die offenen Türen zur Nebenklasse und zum Flur schaffen einen bewegungszulassenden Raum und Gänge zu diesen Bereichen. Die Kinder öffnen diese Türen, wenn sie mit den Kindern der Nebenklasse Kontakt haben wollen. Die Tür zum Flur bleibt nach Eintreffen nach der Hofpause für gewöhnlich offen. Im Prinzip erscheint eine einladende Wirkung zu verschiedenen Räumen, was auch für einen engeren Kontakt zwischen den beiden Klassen spricht. Die Lautstärke ist kennzeichnend für eine Pausenatmosphäre und auch die Frühstückspause regt somit intensive Gespräche an und schafft daher eine Ebene der Peerkultur.

Ein Dong ertönt durch die Klasse. Simon, David, Abdul und Ilyas, die im Sitzkreis ruhig sitzen, beginnen ihr Brot in ihre Butterbrotbox zu räumen und ihre Trinkflasche zu verschließen. Sie greifen sich ihr Proviant zwischen verschränkten Armen und Brustkorb und spazieren zu ihren Schultaschen, die von der kompletten Klasse in einem Regal nah der Eingangstür gesammelt stehen, verstauen dieses und kehren wieder in den Sitzkreis zurück. Dies geschieht in einem durchgängig gemütlichen Tempo.

In direkter Folge zum akustischen Signal leiten die vier ihre ersten Handlungsschritte in Richtung Unterrichtsgeschehen ein. Für sie ist der Dong eine Aufforderung das Frühstück wieder zu verstauen und sich in die Rolle des Schülers zu begehen. Das Wegpacken der Frühstücksdinge ist noch ein notwendiger Schritt, um regelkonform am Unterricht teilnehmen zu können, denn nur die Federmappe ist ein erlaubtes Requisit im Sitzkreis.  Ihr gemütlicher Gang ist jedoch ein Zeichen dafür, dass sie wissen, dass das Unterrichtsgeschehen noch etwas dauert und sie sich nicht beeilen müssen. Ihre geringe Interaktion in der Frühstückspause und ihre Wahl im Raum deutet darauf hin, dass sie die Frühstückspause bereits als Zwischenschritt zum Unterricht sehen.

Julia, Aylin und Zoe, die an einem der Gruppentische sitzen, reden angeregt und lachen. Ab und zu beißt eine von ihnen in ihr Brot oder trinkt mit nach hinten gebeugtem Kopf an der Trinkflasche. Zoe lehnt ihren Oberkörper an die Stuhlkante und legt ihre Beine überkreuzt auf den danebenstehenden freien Stuhl. Nach circa einer Minute beginnen sie ebenfalls ihr Frühstück einzupacken und in ihre Schultaschen zu bringen. Während Aylin ihr Frühstück in die Tasche geräumt hat, hopst sie zum Sitzkreis, lässt sich flott auf die Bank fallen und klopft neben sich mit der flachen Hand auf die Bank. Dabei ruft sie die Namen von Julia und Zoe, nimmt ihre rechte Hand waagerecht hoch und kippt ihre Finger auf und ab. Zoe stürmt zu ihr und lässt sich neben sie fallen. Julia dreht sich kurz mit dem Kopf um, dann wieder zurück und packt ihre Sachen weiter ein. Danach kommt sie, nicht so schnell wie Zoe, aber zügig in den Sitzkreis.  Nun ist der Sitzkreis bereits gut gefüllt und die Lautstärke ist durch die zahlreichen Gespräche relativ hoch. Langsam trudeln auch Kinder aus der Verbindungstür zur Nebenklasse in ihren Klassenraum.

Die drei Mädchen zeigen deutliche Unterschiede zu dem Verhalten der im Vorfeld beschrieben Jungengruppe. Die Sitzhaltung der Mädchen ist besonders durch eine entspannte und gemütliche Art dokumentiert, insbesondere durch Zoes Positionierung. Zudem reagieren die Mädchen eine Zeit nicht auf das akustische Signal, als hätten sie dieses nicht wahrgenommen und gehen den Pausenaktivitäten Frühstücken und Reden weiter nach. Dennoch müssen sie den Dong oder die Bewegung der anderen Kinder zur Kenntnis genommen haben, da sie sich nach einiger Zeit ebenfalls in Richtung Sitzkreis bewegen. Auch sie packen vorerst ihre Frühstücksdinge weg. Dies scheint eine notwendige Voraussetzung für eine Unterrichtstauglichkeit zu sein und markiert den Gang vom Pausenplatz zum Regal mit den Schultaschen und vor allem den Gang zwischen diesem Regal und dem Sitzkreis, der nun von allen Kindern durchlaufen werden muss. Das Reagieren auf den Gong und das Wegpacken des Frühstücks geschieht ebenfalls in einer gemütlichen und nicht aus der Ruhe zu bringenden Aktivität, wahrscheinlich wissen auch sie, dass der Unterricht nicht direkt nach dem Gong startet oder andere wichtige Hinweise, wie zum Beispiel Reaktionen der Lehrerin sind noch nicht eingetroffen. Der Weg vom Schultaschenregal zum Sitzkreis erfolgt nun jedoch dynamischer. Aylin läuft zum Sitzkreis und reserviert den anderen beiden Sitzplätze neben sich und ihre angeregten Handlungen, dass die anderen beiden sich beeilen und sich neben sie setzen sollen zeigt, dass ein Nebeneinandersitzen Vorteile hat. Es kann ebenfalls davon zeugen, dass die drei ihre Konversation von eben weiterführen wollen. Daher bleiben auch Aspekte der Peerkulturen durch eine freie Sitzplatzauswahl, im Unterricht bestehen. Der Sitzkreis zeigt sehr deutliche eine Zwischenform von Pause und Unterricht, da bereits einige Vorbereitungen stattgefunden haben, z.B. das Wegpacken der Pausenrequisiten und der richtigen Platzeinnahme. Dennoch zeichnet die Situation auch pausentypische Merkmale aus, da die Schüler angeregt miteinander sprechen. Insbesondere die Wahl des Sitznachbarn scheint wichtig, um Konversationen weiterführen zu können. Da auch einige Kinder aus den Nebenklassen eintrudeln, kann deutlich gemacht werden, dass die Verbindungstür zur Nebenklasse für einige als Einladung empfunden wurde, den Klassenraum zu wechseln.

Elyas, Devin und Tarik, die Jungengruppe, die sich an den Schultaschen aufhält, hat sich von diesen etwas entfernt und steht nun zentraler im Raum. Sie halten Karten in der Hand, wechseln diese zum Teil, reden impulsiv (werden schlagartig laut) und nutzen dabei durch ihre Hand- und Körperbewegungen einen großen Raum. Zum Teil wippen sie vom einen auf das andere Bein, zeigen ihre Karten, in dem sie diese mit ausgestreckter Hand vor sich halten oder reißen ihre Augen auf und runzeln ihre Stirn. In langsamen Schritten bewegen sie sich zu einem Gruppentisch, der noch mit Getränkeflaschen und Butterbrotdosen voll liegt. Während sie sich unterhalten, packen sie ihre Sachen zusammen und bringen diese zu ihren Schulranzen. Elyas und Tarik haben ihre Karten ebenfalls in ihre Schultasche geräumt und bleiben vor diesen stehen und reden. Devin hat seine Karten noch in der Hand und geht selbstverständlichen Schrittes aus dem Klassenraum in den Flur.

Bei dem Beispiel der Jungen wird sehr deutlich, dass sie auch lange nach dem Dong Anzeichen für ein pausentypisches Verhalten zeigen. Sie haben beispielsweise Unterrichtsvorbereitungen, wie das Wegpacken ihrer Pausendinge oder das Einnehmen eines Sitzplatzes im Kreis, nicht vorgenommen. Die stehende Haltung zeigt Ähnlichkeiten zu dem typischen Verhalten in der Hofpause und nicht des Unterrichts. Zudem zeigen sie ein sehr impulsives und bewegungsvolles Verhalten was kennzeichnend für die Pause ist. Insbesondere ihre Karten scheinen Anlass für eine sehr angeregte Unterhaltung zu sein, die den Anschein macht, dass sie Umliegendes nicht wahrnehmen.  Dennoch setzen auch sie sich, später als die anderen, in Bewegung zu ihren Taschen. Dies geschieht aber eher nebensächlich, da sie ihre Unterhaltung weiterführen und ihre Schritte langsam sind. Ebenfalls zeigen die anders verorteten Frühstücksgegenstände, dass die Schüler diese besondere Art der Pause nicht genutzt haben, um zu Frühstücken, sondern ihre Aktivitäten der Hofpause im Klassenraum fortsetzen. Ihre angeregten Gespräche und das Nutzen der Spielkarten sind Indiz dafür, dass sie sich auf der peerkulturellen Ebene befinden und diese gerade als sehr wichtige Situation erlebt wird. Elyas und Tarik scheinen sich nun durch das Wegpacken der Gegenstände, insbesondere der Karten in Unterrichtsvorbereitungen zu befinden, können sich allerdings von ihrem Gespräch noch nicht lösen. Devins Verhalten ist jedoch gegensätzlich zu dem der beiden. Er packt zwar frühstücksrelevante Dinge weg, seine Karten jedoch nicht. Zudem geht er in die gegensätzliche Richtung und verlässt den Klassenraum. Zudem sucht er einen Raum auf, der nun abgelegen vom Unterrichtsgeschehen ist und zudem wahrscheinlich durch Ruhe geprägt ist. Eventuell nutzt er diesen, um sich auf den Unterricht vorzubereiten und Abstand von der Pausensituation und den Gesprächen zu gewinnen, um sich in die Rolle des Schülers einzufinden.

Die Lehrerin blickt von ihrem Tisch, schließt die nahe gelegene Verbindungstür zur Nebenklasse, geht zum Sitzkreis, quetscht sich etwas durch die Schüler und setzt sich auf den freien Platz vor dem Whiteboard. Julia, Zoe und Aylin haben ihr ein Stück Bank freigelassen. Die Lehrerin sitzt einen Moment still, legt dann ihre Hände mit einem kleinen Ruck auf die Beine und sagt dann mit lauter Stimme, dass sie gerne anfangen möchte. Dabei ist ihr Kopf etwas nach oben gekippt und ihr Blick geht in Richtung Elyas und Tarik. Zudem nennt sie Elyas Namen und sagt immer noch mit lauter Stimme aber bittend, dass er die Tür der Klasse schließen soll, sie wolle gerne starten. Elyas sagt mit Blick zur Lehrerin gerichtet, dass er glaubt, dass noch Kinder draußen sind. Die Lehrerin schaut ihn mit genervt wirkendem Blick an, schnauft aus und fordert ihn auf, dass er die Kinder reinholen soll. Elyas verlässt zügig den Raum.

Durch das Schließen der Verbindungstür wird deutlich, dass die Lehrerin nun ein erstes Anzeichen für das folgende Unterrichtsgeschehen kenntlich macht. Sie schränkt somit die Bewegung zwischen den beiden Klassen ein und schafft eine räumliche Grenze zur Nebenklasse. Auch die Lehrerin erscheint erst circa 2 Minuten nach dem Gong in den rituell verabredeten Sitzkreis, was eine gemütliche Bewegung der Schüler dorthin begründen könnte. Das Einnehmen des reservierten Sitzplatzes für die Lehrerin, der mittig vor dem Whiteboard und für alle gut sichtbar und zentral ist, gibt ein weiteres Zeichen, dass der Unterricht nun startet. Durch ihre ruckartige Handbewegung auf die Oberschenkel macht sie durch ein akustisches Signal auf sich aufmerksam, bevor sie Verhaltenserwartungen an die Kinder ausspricht. Zudem adressiert sie namentlich Elyas und Tarik, die sich noch nicht zum rituell verabredeten Sitzkreis bewegt haben. Zudem scheint insbesondere die Aufforderung an Elyas, die Tür zu schließen, ein weiteres Kriterium zu sein, welches zur Herstellung von Unterrichtsatmosphäre dient. Elyas scheint bezüglich der Aufforderung verwirrt zu sein und nicht zu wissen, ob er trotz der Abwesenheit von Devin dies ausführen soll. Auch nennt er Devins Namen nicht und verfasst seine Aussage verallgemeinert im Plural. Dies deutet ebenfalls auf ein freundschaftliches oder peerkulturelles Verhalten hin. Die Ruhe der Lehrerin scheint langsam in eine genervte und fordernde Haltung hinüberzugehen.

Die Kinder im Sitzkreis unterhalten sich noch zu einem großen Teil oder spielen mit ihren Federmäppchen. Die Lehrerin hebt die Hand, legt Ring- und Mittelfinger an den Daumen und streckt den kleinen Finger und den Zeigefinger nach oben („Stillezeichen“). Einige Kinder adaptieren das Zeichen. Manche legen zusätzlich den Zeigefinger an die Lippen und schauen redende Kinder auffordernd an. Die Lehrerin zählt Namen der Kinder, die noch reden mit einem kühlen Ton auf. Ein paar Kinder nennen ebenfalls die Namen, dies tun sie mit angehobener und ermahnender Stimme. Manche nennen auch ein „Oh“ davor oder klopfen sich auf das Bein. Nacheinander verstummen die Kinder und der Blick richtet sich auf die Lehrerin. Die Lehrerin senkt den Arm und sagt mit neutraler Stimme: „Wir wollen heute mit der Stationenarbeit zum Klima weitermachen.“

Die Kinder im Sitzkreis zeigen zum Teil durch ihre Gespräche noch pausentypischen Verhalten. Durch das Stillezeichen macht die Lehrerin deutlich, dass sie gerne Ruhe hätte und somit auch, dass Gespräche nun nicht mehr gestattet sind. Durch das Stillezeichen entwickelt sich eine schrittweise einkehrende Ruhe. Andere Kinder, die nach diesem weiterreden und eventuell das Zeichen durch seine rein visuelle Komponente nicht wahrgenommen haben oder noch für sie wichtige Konversationen führen wollen, werden namentlich zunächst nur durch die Lehrerin ermahnend adressiert. Diese Disziplinierungsmaßnahmen werden nun jedoch auch von den Schülern übernommen. Während die Lehrerin eher einen ruhigen aber dennoch ermahnende Ton anstrebt, nennen die Kinder mit weniger Nachsicht die Namen ihrer Mitschüler. Sie versuchten durch eine geräuschvolle Strategie ihre Mitschüler zur Ruhe zu bewegen. Nacheinander scheinen aber alle Kinder das Zeichen und die Aufforderungen wahrzunehmen und auch auf diese zu reagieren, sodass die Lehrerin das Thema der Stunde verkündet.

Fazit

Zusammenfassend lassen sich einige Aspekte dokumentieren, die in der im Vorfeld beschriebenen Situationen Kennzeichen einer Schwellenphase sind. Die Situation beschreibt das Ende der Frühstücksphase durch den Dong bis zum Anfang des Unterrichts, der durch die Lehrerin im Sitzkreis eingeleitet wird. Die zwischenliegende Zeit kann weder als Pause noch Unterricht konnotiert werden. Wie bereits auch bei Wagner-Willi (vgl. 2018, S. 58) beschrieben, ist in der Phase eine Art Durcheinander und Regellosigkeit spürbar, die sowohl auf der Vorder- als auch Hinterbühne aufgeführt wird. Durch die Lehrperson, die vorerst keine Interaktion zu den Schülern anstrebt, kann das Klassenzimmer als Hinterbühne gekennzeichnet werden. Im späteren Verlauf und nach der Umpositionierung der Lehrkraft wechselt jedoch das Klassenzimmer langsam zur Vorderbühne, insbesondere der Sitzkreis ist nun im Fokus. Der Flur, der von einem Jungen genutzt wird, kann nun durch z.B. die Ruhe und Abschirmung von Blicken als Hinterzimmer zur Unterrichtsvorbereitung genutzt werden. Es wird ebenfalls sichtbar, dass die Schwellenphase durch zeitliche, räumlich-materielle und soziale Strukturen geprägt ist (vgl. Wagner-Willi 2005, S. 284; Gröhlich & Wagner-Willi 2001. S. 122). Auch wenn die Übergangsphase nicht immer zeitlich terminiert ist, besitzt sie eine Spanne, in der Unterrichtsvorbereitungen getroffen werden müssen, um nicht weiter im öffentlichen Raum diszipliniert oder eventuell gar sanktioniert zu werden. Der „Unterrichtsstart“ wird gemeinsam hervorgebracht, indem verschiedene räumliche und akustische Signale erfolgen, beispielsweise die Positionierung im Sitzkreis. Des Weiteren werden auch räumlich-materielle Strukturen sichtbar durch zum einen die Anregung von Bewegung, durch das Wegpacken der Pausengegenstände und dem Treffpunkt Sitzkreis. Zum anderen wird sie aber auch im Vergleich zur Pause räumlich eingeschränkt, durch das Schließen der Tür zur Nebenklasse und später auch zum Flur. Zudem ändern sich auch die benötigten bzw. erlaubten Requisiten. Die für die Frühstückspause primären Dosen und Flaschen müssen wieder in die Schultaschen, aber auch andere Pausendinge wie Karten verstaut werden. Auch die soziale Struktur des Unterhaltens der Peerkulturen werden in der Schwellenphase stark genutzt, dies ist vor allem durch eine Gleichgeschlechtlichkeit geprägt und muss vor Unterrichtsbeginn eingestellt werden. Diese Ebenen zeigen jedoch gleichzeitig, dass Kinder ihre peerkulturellen Interessen zum Teil  nicht in der zeitlich vorgegebenen Struktur beenden können und daher eine Art Spannungsfeld zwischen ihren Interessen, d.h. konjunktiven Erfahrungsräumen und den schulischen Anforderungen herrschen. Beispielsweise zeigen das Behalten der Karten sowie das Weiterführen von Unterhaltungen Anzeichen für ein hinüberretten wollen von peerkulturellen Interessen in die Phase Unterricht (vgl. Wagner-Willi 2005, S. 294). Unterschiedliche Umgangsweisen mit der Schwellenphase sind auf verschiedene konjunktive Erfahrungsräume, Einstellungen und dem Habitus zurückzuführen. Weitere Forschungsaspekte in diesem Kontext sollten das Vertiefen der lebensweltlichen Bedürfnisse von Kindern im Schulalltag in Bezug auf die zeitliche, räumlich-materielle und soziale Struktur sein, um diese besser in den Schulkontext einbetten zu können. Ein freies Lernsetting ermöglicht den Kindern peerkulturelle Bedürfnisse und Aspekte des Unterrichts zu verbinden. So sollten freie Lernsettings, wie es in diesem der Fall ist, auch die Schwellenphase bzw. den Unterrichtseinstieg mitdenken.

Literaturverzeichnis

Gröhlich, M. & Wagner-Willi, M. (2001). Rituelle Übergänge im Schulalltag – Zwischen Peergroup und Unterrichtsgemeinschaft. In C. Wulf, B. Althans, A. Audehm, C. Bausch, M. Gröhlich, S. Sting, … J. Zirfas, Das Soziale als Ritual. Zur performativen Bildung von Gemeinschaften (S. 119-204). Opladen: Leske + Budrich.

Rabenstein, R. & Reh, S. (2010). Unterricht als Interaktion: Unterrichtsanfänge oder das Setting der Institution und die Ordnung des Unterrichts. In Schelle, C., Rabenstein, R. & S. Reh, Unterricht als Interaktion. Ein Fallbuch für die Lehrerbildung (S. 71-98). Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt.

Wagner-Willi, M. (2005). Kinder-Rituale zwischen Vorder- und Hinterbühne. Der Übergang von der Pause zum Unterricht. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Wagner-Willi, M. (2018). Rituelle Praktiken auf den schulischen Vorder- und Hinterbühnen. In J. Brühlmann & Conversano D. (Hg.), Rituale an Schulen. Wirksam und unterschätzt (S. 58-63). Zürich: LCH Verlag.

[1] In dieser Arbeit wird im Folgenden, aus Gründen der Übersichtlichkeit, nicht zwischen dem weiblichen und männlichen Geschlecht unterschieden. Selbstverständlich inkludiert die männliche Form in dieser Arbeit auch die weibliche.

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