Ethnographische Forschung

„Geographische oder soziale Nähe ist kein Grund für Bekanntheit, Ferne keine Begründung für die wissenschaftliche Relevanz seiner Beforschung. Das wissenschaftlich Unbekannte lauert in der Mitte des kulturell allzu Selbstverständlichen. Mit dieser methodologischen Überlegung können gerade die für die Kulturteilnehmer bekannten Phänomene in den methodisch angeleiteten, befremdenden Blick genommen werden. Es ist das Alltägliche mit seinen innewohnenden Regeln, seinen Ordnungen und Ritualen. Die Menschen bringen ihren Alltag gemeinsam hervor. Das wissenschaftlich begründete Verstehen-Lernen dieses Alltags der Menschen, seien es Kinder oder Erwachsene, Lehrer oder Schüler, Polizisten oder Gesetzesbrecher, Wissenschaftler oder Medizinmänner, Rapper oder Banker, ist das Ziel einer ethnographisch angelegten Sozialwissenschaft.“ (Wiesemann 2011, S. 167 f.)

„Die Selbstverständlichkeit dieser schulischen Ordnung in einem klassischen Setting wird weder im konkret beobachteten Alltag von Lehrern, noch in wissenschaftlich-didaktischen Analysen zum Thema gemacht. Die Frage nach ihrer Herstellung ist eine Forschungsfrage: Was tun Schülerinnen und Schüler und Lehrerinnen und Lehrer, wenn sie ‚Unterricht machen’ und wie tun sie es als gemeinsame Praxis? Der forschende Blick auf das alltägliche Tun richtet sich auf die Praktiken der Akteure, durch die eine schulische Situation zur Wirklichkeit gebracht wird.“ (ebd., S. 170)

„Die Ethnographin lenkt den Blick gezielt auf das Wie der unterschiedlichen Handlungen der Akteure im Geschehen oder das Wie der ‘Verkörperung’, wie Geertz es nennt. Nicht die Frage: Warum macht er oder sie dies oder jenes? sondern die Frage: Wie macht er oder sie das was sie machen und wie zeigen sie uns, was es für sie bedeutet? ist die Kernfrage ethnographischer Arbeit.“ (ebd., S. 176)

Aus: Wiesemann, Jutta (2011): Ethnographische Forschung im Kontext der Schule. In: Hans-Ulrich Grunder, Katja Kansteiner-Schänzlin und Heinz Moser (Hg.): Professionswissen für Lehrerinnen und Lehrer. Baltmannsweiler: Schneider-Verl. Hohengehren, S. 167–185.